Kaltblütig
ersten Schritt bis zur endlichen Stille, tadellos durchdacht.
Als Nächstes benötigten sie einen Strick. Perry inspizierte die Ware, prüfte sie. Da er in der Handelsmarine gedient hatte, war er damit vertraut und kannte sich mit Knoten aus. Er wählte ein weißes Nylonseil, stabil wie Draht und wenig dicker. Sie überlegten, wie viel Meter sie davon brauchten. Diese Frage ärgerte Dick, denn sie stürzte ihn in ein Dilemma, da er sie trotz seiner angeblich so perfekten Planung nicht mit Bestimmtheit zu beantworten vermochte. Schließlich sagte er: »Verdammt, woher soll ich das wissen?«
»Du weißt doch sonst immer alles.«
Dick dachte nach. »Also, da wären er. Sie. Der Junge und das Mädchen. Und vielleicht auch noch die anderen beiden. Aber es ist ja Samstag. Möglicherweise haben sie Gäste. Rechnen wir also mit acht oder, besser, zwölf, für alle Fälle. Fest steht nur, dass sie dran glauben müssen, einer wie der andere.«
»Ganz schön viele.«
»Jedenfalls genug, um die Wände mit deren ihrem Hirn zu tapezieren. Genau wie versprochen, Schätzchen.«
Perry zuckte die Achseln. »Dann nehmen wir am besten die ganze Rolle.«
Hundert Meter – das reichte mit Sicherheit für zwölf.
Kenyon hatte die Truhe selbst gezimmert: eine Aussteuertruhe aus Mahagoni, mit Zeder ausgeschlagen, die er Beverly zur Hochzeit schenken wollte. Er war im so genannten Hobbykeller und trug die letzte Lackschicht auf.
Das Mobiliar des zementierten Werkstattraums, der die gesamte Länge des Hauses einnahm, verdankte sich fast ausschließlich seiner Schreinerkunst (Regale, Tische, Hocker, eine Tischtennisplatte) und Nancys handarbeitlichem Geschick (Chintzbezüge, die eine altersschwache Couch verjüngten, Vorhänge und Kissen mit aufgestickten Sprüchen: GLÜCKLICH? und MAN MUSS NICHT VERRÜCKT SEIN, UM HIER zu LEBEN, ABER SCHADEN KANN ES NICHT). Gemeinsam hatten Kenyon und Nancy versucht, im wahrsten Sinne des Wortes etwas Farbe in den tristen, grauen Kellerraum zu bringen, was ihnen, wie sie fanden, auch gelungen war. Die beiden hielten ihren Hobbykeller für einen Triumph und einen Segen – Nancy, weil sie nun endlich eine »Bude« hatte, wo sie sich mit »den Mädels« treffen konnte, ohne ihre Mutter zu stören, und Kenyon, weil er hier in Ruhe hämmern, sägen und an seinen »Erfindungen« herumbasteln konnte: Sein neuester Clou war eine elektrische Schmorpfanne. Neben dem Hobbykeller lag der Heizungsraum, in dem sich eine mit allerlei Gerätschaften übersäte Werkbank unter der Last weiterer halb fertiger »Projekte« bog – ein Verstärker, ein altes Victrola-Aufziehgrammophon, das er wieder in Schuss bringen wollte.
Kenyon sah weder seinem Vater noch seiner Mutter ähnlich; sein kurz geschnittenes Haar war hanfblond, und er war einsachtzig groß und schlaksig, dabei aber so kräftig, dass er zwei ausgewachsene Schafe einmal zwei Meilen weit durch einen Schneesturm getragen hatte, um sie vor dem sicheren Tod zu retten – er war drahtig, muskulös und wie so viele schlaksige junge Männer mit einem auffallenden Mangel an Körperbeherrschung geschlagen. Dieses Manko, verstärkt durch eine ausgeprägte Sehschwäche, derentwegen er eine Brille tragen musste, hatte zur Folge, dass er an den Mannschaftssportarten (Basketball, Baseball), mit denen die meisten Jungen seines Alters sich die Zeit vertrieben, nur pro forma teilnehmen konnte, weshalb er nicht allzu viele Freunde hatte. Eigentlich hatte er nur einen Freund – Bob Jones, der Sohn von Taylor Jones, dessen Ranch eine Meile westlich vom Haus der Clutters lag. Im ländlichen Kansas lernen die Jungen schon sehr früh Auto fahren; Kenyon war elf, als sein Vater ihm erlaubte, sich von dem Geld, das er mit Schafehüten verdient hatte, einen alten Lieferwagen mit Model-A-Motor zu kaufen – die »Kojotenkiste«, wie Bob und er ihn nannten. Unweit der River Valley Farm gibt es einen seltsamen Landstrich namens Sand Hills; er ähnelt einem Strand ohne Meer, und nachts schleichen ganze Rudel von Kojoten heulend durch die Dünen. Bei Mondschein stellten die Jungen ihnen nach, scheuchten sie auf und versuchten sie mit dem Auto einzuholen, was ihnen jedoch nur selten glückte, da selbst der klapprigste Kojote es mühelos auf eine Geschwindigkeit von fünfzig Meilen in der Stunde bringt, während der Wagen gerade einmal fünfunddreißig schaffte; aber es war ein herrlich wildes Vergnügen, wenn der Wagen schliddernd durch den Sand karriolte und die flüchtenden Kojoten
Weitere Kostenlose Bücher