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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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seiner glühenden Bewunderung für den Kaplansgehilfen und zugleich deren Gegengewicht. Vielleicht war Dick ja wirklich »oberflächlich« oder gar, wie Willie-Jay behauptete, »ein übles Großmaul«. Dafür war er ein witziger, gerissener Bursche, ein Realist, ein »Durchblicker«, der keine Flausen im Kopf hatte und mit beiden Beinen auf der Erde stand. Außerdem zeigte er, im Unterschied zu Willie-Jay, durchaus Verständnis für Perrys exotische Ambitionen; er hörte ihm bereitwillig zu, ließ sich von seiner Begeisterung anstecken, träumte mit ihm von »todsicheren Schätzen« im Golf von Mexiko und den Urwäldern Brasiliens.
    Nach seiner Entlassung war Perry vier lange Monate in einem klapprigen Hundert-Dollar-Ford aus fünfter Hand durchs Land gegondelt, von Reno nach Las Vegas, von Bellingham, Washington, nach Buhl, Idaho, und in Buhl, wo er vorübergehend Arbeit als Lastwagenfahrer gefunden hatte, erreichte ihn Dicks Brief: »Freund P, Bin im August raus gekommen und wie Du Weg warst, hab ich Jemand kennen gelernt, Du kennst Ihn nicht, aber Er hat mich auf was gebracht, was wir beide prima deichseln könnten. Ein Kinderspiel, das perfekte Ding …« Bis dahin war Perry davon überzeugt gewesen, dass er weder Dick noch Willie-Jay je wiedersehen würde. Trotzdem hatte er häufig an die beiden gedacht, insbesondere an Willie-Jay, der in seiner Erinnerung zu einem weisen, grauhaarigen Riesen herangewachsen war und unablässig durch seine Gehirnwindungen geisterte. »Du hast einen Hang zum Negativen«, hatte Willie-Jay ihm einmal vorgehalten. »Dir wäre am liebsten alles scheißegal, du wünschst dir ein Leben ohne Verantwortung, ohne Glaube, Freunde oder Wärme.«
    Auf seinen einsamen, trostlosen Streifzügen hatte er sich Willie-Jays Worte immer wieder durch den Kopf gehen lassen und war zu dem Schluss gelangt, dass er ihm mit diesem Urteil unrecht tat. Ihm war durchaus nicht alles scheißegal – aber hatte sich für ihn je ein Mensch interessiert? Sein Vater? Ja, bis zu einem gewissen Grad.
    Das eine oder andere Mädchen – aber das war »eine lange Geschichte«. Sonst niemand, außer Willie-Jay. Und nur Willie-Jay hatte seinen Wert, sein Potenzial erkannt, hatte begriffen, dass er mehr war als ein Halbblut mit dünnen Beinen und dicken Muskeln, hatte ihn gesehen, wie er sich selbst sah – ein »außergewöhnlicher«, »besonderer«, »künstlerisch begabter« Mensch. Bei Willie-Jay hatte seine Eitelkeit Bestätigung, seine Sensibilität Asyl gefunden, und der nunmehr viermonatige Verzicht auf diese teure Anerkennung ließ sie ihm verlockender erscheinen als alle Träume von vergrabenem Gold. Als er Dicks Angebot erhielt und ihm klar wurde, dass das von Dick anvisierte Datum für ihren Kansas-Fischzug fast genau mit Willie-Jays Entlassung zusammenfiel, wusste er sofort, was er zu tun hatte. Er fuhr nach Las Vegas, verkaufte seine Schrottkiste, packte seine ganzen Karten, alten Briefe, Manuskripte und Bücher zusammen und kaufte sich einen Fahrschein für den Greyhound-Bus. Wie es weitergehen würde, wollte er dem Schicksal überlassen; wenn »das mit Willie-Jay nicht klappte«, wollte er »Dicks Vorschlag noch mal überdenken«. Wie sich herausstellte, blieb ihm keine andere Wahl, denn als Perry am Abend des 12. November in Kansas City ankam, hatte Willie-Jay, den er nicht rechtzeitig hatte benachrichtigen können, die Stadt bereits verlassen – und zwar nur fünf Stunden zuvor, von demselben Busbahnhof, an dem Perry eintraf. Das hatte er bei einem Telefonat mit Reverend Post erfahren, dessen Weigerung, ihm das genaue Reiseziel seines früheren Gehilfen mitzuteilen, Perry auch das letzte Fünkchen Mut nahm. »Er ist nach Osten gefahren«, sagte der Kaplan. »Da hat er eine gute Stellung in Aussicht und kommt bei netten Leuten unter, die ihm wieder auf die Beine helfen wollen.« Als er auflegte, war Perry ganz »benommen vor Wut und Enttäuschung«.
    Doch was, überlegte er, als sein Kummer verflogen war, hatte er sich von einem Wiedersehen mit Willie-Jay eigentlich erhofft? Die Freiheit hatte einen Keil zwischen sie getrieben; als freie Menschen hatten sie nichts mehr gemein, waren sie Kontrahenten und damit alles andere als ein »Team«, das die Tauchabenteuer vor der Küste Mexikos in Angriff nehmen konnte, die Dick und er ausgeheckt hatten. Trotzdem, hätte er Willie-Jay nicht verpasst, hätten sie auch nur eine Stunde zusammen sein können, dann – davon war Perry überzeugt, das »wusste« er –

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