Kaltblütig
würde er jetzt nicht vor einem Krankenhaus herumlungern und darauf warten, dass Dick mit einem Paar schwarzer Strümpfe wiederkam.
Dick kehrte mit leeren Händen zurück. »Nix zu machen«, sagte er betont beiläufig, was sofort Perrys Misstrauen erregte.
»Bist du sicher? Hast du überhaupt gefragt?«
»Klar hab ich gefragt.«
»Ich glaub dir kein Wort. Gib’s zu, du bist da rein, hast ein paar Minuten dumm in der Gegend rumgestanden und bist dann wieder raus.«
»Na gut, Süßer – wenn du meinst.« Dick ließ den Motor an. Nachdem sie eine Weile schweigend vor sich hin gefahren waren, tätschelte Dick Perry das Knie. »Jetzt stell dich nicht so an«, sagte er. »Das war doch ’ne Schnapsidee. Was hätten die wohl von mir gedacht?
Einfach da reinzumarschieren, wie in ’nen verfluchten Ramschladen …«
»Na ja, was soll’s«, sagte Perry. »Nonnen bringen sowieso bloß Unglück.«
Der für Garden City zuständige Vertreter der New York Life Insurance lächelte, als Mr. Clutter einen Parker-Füller zückte und sein Scheckheft aufschlug. Er musste an einen Scherz denken, der im Ort die Runde machte: »Wissen Sie, was man sich über Sie erzählt, Herb? ›Seit Haareschneiden einen Dollar fünfzig kostet, bezahlt Herb selbst beim Friseur mit Scheck.‹«
»Stimmt«, antwortete Mr. Clutter. Er war dafür berühmt, dass er, wie die Mitglieder königlicher Häuser, niemals Bargeld bei sich trug. »Dabei ist mir einfach wohler. Wenn die Steuerfahndung vor der Tür steht, ist ein Scheck dein bester Freund.«
Nachdem er den Scheck ausgestellt, aber noch nicht unterschrieben hatte, lehnte er sich in seinem Drehstuhl zurück und schien nachzudenken. Der Agent, ein untersetzter, fast kahler und im Umgang eher zwangloser Mann namens Bob Johnson, hoffte inständig, dass seinem Klienten nicht in letzter Minute noch Zweifel kamen.
Herb war ein schwieriger Kunde; Johnson hatte über ein Jahr gebraucht, um diesen Abschluss unter Dach und Fach zu bringen. Aber nein, Mr. Clutter erlebte lediglich den »feierlichen Augenblick«, wie Johnson das zu nennen pflegte – ein Versicherungsvertretern wohlbekanntes Phä nomen. Wer sein Leben versichert, befindet sich in einer ähnlichen Gemütsverfassung wie jemand, der sein Testament macht; Gedanken an den Tod sind unvermeidlich.
»Ja, ja«, sagte Mr. Clutter wie zu sich selbst. »Ich habe allen Grund, dankbar zu sein – das Leben hat es gut mit mir gemeint.« Gerahmte Dokumente zum Gedenken an die Meilensteine seiner Laufbahn hoben sich funkelnd gegen die nussbaumgetäfelten Bürowände ab: ein Collegediplom, eine Karte der River Valley Farm, Auszeichnungen für landwirtschaftliche Verdienste, eine prächtige Urkunde mit den Unterschriften von Dwight D. Eisenhower und John Foster Dulles, in Würdigung seiner Arbeit als Mitglied des Federal Farm Credit Board. »Die Kinder. In dieser Hinsicht haben wir wirklich Glück gehabt. Ich sollte das eigentlich nicht sagen, aber ich bin mächtig stolz auf sie. Kenyon, zum Beispiel. Noch will er zwar Ingenieur oder Wissenschaftler werden, aber wenn Sie mich fragen, ist mein Sohn ein geborener Rancher. So Gott will, wird er die Farm eines Tages übernehmen.
Kennen Sie Eveannas Mann? Don Jarchow? Tierarzt. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie große Stücke ich auf den Jungen halte. Gleiches gilt für Vere – Vere English, der Junge, den sich meine kleine Beverly geangelt hat. Sollte mir je etwas passieren, kann ich mich felsenfest darauf verlassen, dass die beiden das Ruder übernehmen; Bonnie – Bonnie allein wäre mit einem Betrieb wie diesem völlig überfordert …«
Johnson, der sich derlei Grübeleien beileibe nicht zum ersten Mal anhörte, wusste, dass er jetzt eingreifen musste. »Ach, Herb«, sagte er. »Sie sind doch noch ein junger Mann. Achtundvierzig. So wie Sie aussehen, vom ärztlichen Gutachten gar nicht zu reden, weilen Sie mit Sicherheit noch ein paar Wochen unter uns.«
Mr. Clutter setzte sich auf und griff ein zweites Mal zu seinem Füller. » Ehrlich gesagt, fühle ich mich eigentlich ziemlich gut. Und sehe ziemlich optimistisch in die Zukunft. Ich habe da ein paar Ideen, wie man hier in den nächsten Jahren eine hübsche Stange Geld verdienen könnte.« Während er seine Pläne zur Kapitalvermehrung in groben Zügen erläuterte, unterzeichnete er den Scheck und schob ihn über den Tisch.
Es war zehn nach sechs, und der Vertreter wollte nach Hause; seine Frau wartete bestimmt schon mit dem
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