Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
Vom Netzwerk:
Was unter anderem daran gelegen haben dürfte, dass sie so oft allein waren, Mrs. Clutter war ja dauernd verreist und Mr. Clutter immer unterwegs, in Washington oder wer weiß wo. Jedenfalls hatte Nancy ihren Bruder schrecklich lieb, trotzdem glaube ich, dass weder sie noch sonst jemand ihn wirklich verstand. Er schwebte ständig über den Wolken. Man wusste nie, woran er gerade dachte oder ob er einen überhaupt ansah – er schielte nämlich leicht.
    Manche Leute hielten ihn für ein Genie, und wer weiß, vielleicht war da ja sogar was dran. Er hat jedenfalls viel gelesen. Aber, wie gesagt, er war furchtbar hippelig; er wollte nicht fernsehen, er wollte Horn üben, und als Nancy ihm das verbot, sagte Mr. Clutter, warum er nicht einfach in den Keller geht, in den Hobbyraum, wo ihn keiner hört. Aber das wollte er auch nicht.
    Einmal klingelte das Telefon. Oder doch zweimal? Ich weiß nicht mehr genau. Jedenfalls ging Mr. Clutter zwischendurch einmal ans Telefon im Büro. Die Tür stand offen – die Schiebetür zwischen Wohnzimmer und Büro –, und ich hörte, wie er ›Van‹ sagte, es muss also sein Partner, Mr. Van VIeet, gewesen sein, und dann sagte er noch, er hätte Kopfschmerzen, aber es ginge ihm schon besser. ›Dann bis Montag‹, sagte er und legte auf. Als er wiederkam – ja, da war Mike Hammer gerade vorbei. Fünf Minuten Nachrichten. Dann der Wetterbericht. Beim Wetterbericht wurde Mr. Clutter immer ganz hellhörig.
    Das war das Einzige, was ihn wirklich interessierte. Ich bin ja eher für Sport – der kam danach. Als der Sport vorbei war, so gegen halb elf, bin ich aufgestanden und gegangen. Nancy brachte mich zum Wagen. Wir haben uns noch eine Weile unterhalten und uns für Sonntagabend zum Kino verabredet – ein Film, auf den sich alle Mädchen freuten, Die Unverstandenen. Dann lief sie zurück ins Haus, und ich fuhr los. Im Mondlicht war es fast taghell und kalt und ziemlich windig; alles war voller Steppenhexen. Sonst habe ich nichts gesehen. Das heißt, wenn ich es mir recht überlege, könnte es gut sein, dass sich da draußen jemand versteckt hielt. Zwischen den Bäumen oder so. Jemand, der nur darauf wartete, dass ich endlich ging.«
     
    In einem Restaurant in Great Bend aßen die beiden Reisenden zu Abend. Perry, der nur noch fünfzehn Dollar in der Tasche hatte, wollte sich mit Rootbeer und einem Sandwich begnügen, doch Dick sagte, nein, sie brauchten »was Anständiges zwischen die Rippen«, Geld spiele keine Rolle, zahlen werde er. Sie bestellten zwei halb durchgebratene Steaks, Ofenkartoffeln, Pommes frites, Schmorzwiebeln, Bohneneintopf und dazu Makkaroni, Maisbrei, Salat mit Thousand Island Dressing, Zimtbrötchen, Apfelkuchen, Eis und Kaffee. Zum krönenden Abschluss gingen sie in einen Drugstore und suchten sich Zigarren aus; dann kauften sie zwei große Rollen Klebeband.
    Als der schwarze Chevrolet wieder über den Highway rollte und auf der unmerklich ansteigenden Straße dem kälteren, knochentrockenen Klima der Weizenhochebene entgegenraste, schloss Perry die Augen und sank in einen sattzufriedenen Halbschlaf, bis die Stimme des Sprechers der Elf-Uhr-Nachrichten ihn aus seinem Schlummer riss.
    Er kurbelte das Fenster herunter und badete sein Gesicht in der Flut frostiger Luft. Sie seien jetzt in Finney County, sagte Dick. »Schon zehn Meilen hinter der Grenze.« Sie fuhren sehr schnell. Schilder, vom Licht der Wagenscheinwerfer erhellt, flammten auf, flogen vorbei: »Erleben Sie die Eisbären«, »Burtis Motors«, »Der Welt größtes Schwimmbad! EINTRITT FREI!«, »Wheat Lands Motel« und schließlich, kurz bevor die ersten Straßenlaternen auftauchten, »Hallo, Fremder! Willkommen in Garden City. Angenehmen Aufenthalt.«
     
    Sie fuhren am Südrand der Stadt entlang. Zu dieser fast mitternächtlichen Stunde war niemand mehr unterwegs, und alles hatte geschlossen, außer einer Reihe ebenso trostloser wie hell erleuchteter Tankstellen. Dick fuhr eine von ihnen an – Hurd’s Philips 66. Sofort erschien ein junger Mann und fragte: »Volltanken?« Dick nickte, und Perry stieg aus und verschwand in der Tankstelle, wo er sich auf der Herrentoilette einschloss. Wie so oft taten ihm die Beine weh; die Schmerzen waren so schlimm, dass man hätte meinen können, sein alter Unfall sei vor fünf Minuten erst passiert. Er schüttelte drei Aspirin aus dem Fläschchen, zerkaute sie langsam (denn er mochte den Geschmack), und spülte sie mit Wasser aus dem Hahn hinunter. Er setzte sich

Weitere Kostenlose Bücher