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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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auf die Toilette, streckte die Beine aus und massierte sich die steifen Knie. Dick hatte gesagt, sie seien fast da – »nur noch sieben Meilen«. Er zog einen Reißverschluss an seiner Jacke auf und holte eine Papiertüte hervor; darin lagen die frisch erworbenen Gummihandschuhe. Sie waren klebrig, klamm und dünn, und als er sie überstreifte, riss der eine – nichts Dramatisches, nur ein kleiner Riss zwischen den Fingern, und doch schien es ihm wie ein Omen.
    Der Türknopf drehte sich, jemand rüttelte daran.
    »Willst du was Süßes?«, fragte Dick. »Hier draußen ist ein Automat.«
    »Nein.«
    »Alles in Ordnung?«
    »Alles bestens.«
    »Du willst da drin doch hoffentlich nicht übernachten?«
    Dick warf eine Zehn-Cent-Münze in den Automaten, zog den Hebel und holte eine Tüte Weingummi heraus; schmatzend wanderte er zurück zum Wagen, blieb stehen und sah zu, wie der junge Tankwart die Windschutzscheibe von Kansasstaub und den schleimigen Überresten zermatschter Insekten zu befreien versuchte. Der Tankwart, er hieß James Spor, hatte ein ungutes Gefühl. Dicks düstere Miene und Perrys ausgedehnter Gang zur Toilette machten ihn nervös. (Tags darauf berichtete er seinem Arbeitgeber: »Wir hatten gestern Abend ein paar üble Kunden«, wäre jedoch nicht im Traum darauf gekommen, die unheimlichen Besucher mit der Holcomber Tragödie in Verbindung zu bringen.)
    »Nicht viel los hier, was?«, fragte Dick.
    »Nee«, sagte James Spor. »Sie sind seit zwei Stunden die ersten Kunden. Wo kommen Sie her?«
    »Kansas City.«
    »Zum Jagen hier?«
    »Nur auf der Durchreise. Unterwegs nach Arizona. Da haben wir ’nen Job. Auf dem Bau. Haben Sie ‘ne Ahnung, wie weit es von hier nach Tucumcari, New Mexico, ist?«
    »Nein, da muss ich leider passen. Drei Dollar und sechs Cent.« Er nahm Dicks Geld entgegen, wechselte und sagte: »Tut mir leid, Sir. Aber ich hab zu tun. Ich muss die Stoßstange an einen Truck montieren.«
    Dick wartete, aß ein bisschen Weingummi, ließ ungeduldig den Motor aufheulen und hupte. War es möglich, dass er sich in Perry getäuscht hatte? Dass ausgerechnet Perry plötzlich »Muffensausen« kriegte? Als sie sich kennen gelernt hatten, vor einem Jahr, hatte er Perry für einen »netten Burschen« gehalten, wenn auch ein bisschen »selbstverliebt«, »sentimental«, zu sehr »der Träumer«. Er fand ihn sympathisch, versprach sich jedoch nicht allzu viel von ihrer Freundschaft, bis Perry ihm eines Tages einen Mord gestand und ihm erzählte, dass er, »nur so aus Jux und Tollerei«, in Las Vegas einen Farbigen umgebracht – mit einer Fahrradkette totgeschlagen – habe. Dadurch war der »kleine Perry« in Dicks Achtung schwer gestiegen; er traf sich immer häufiger mit ihm und kam, genau wie Willie-Jay, wenn auch aus anderen Gründen, zu dem Schluss, dass Perry über ebenso außergewöhnliche wie wertvolle Eigenschaften verfügte. In Lansing saßen damals mehrere Mörder beziehungsweise Männer ein, die mit Morden oder doch wenigstens ihrer Bereitschaft prahlten, einen solchen zu begehen; aber Dick gelangte zu der Ansicht, dass Perry zu jener äußerst seltenen Spezies des »geborenen Mörders« gehöre – geistig gesund, aber gewissenlos und ohne weiteres imstande, seinem Opfer, ob mit oder ohne Motiv, kaltblütig den Todesstoß zu versetzen. Dick war davon überzeugt, dass sich diese Gabe unter seiner Führung gewinnbringend ausbeuten ließe. Darum hatte er Perry umschmeichelt und umgarnt – und ihm beispielsweise vorgegaukelt, dass er an seine Spinnereien von versunkenen Schätzen glaubte, seine Aussteigerambitionen und seinen Hang zu Hafenstädten teilte, während er sich in Wahrheit für nichts von alldem interessierte, sondern vielmehr »ein normales Leben« führen wollte, mit eigenem Betrieb, Haus, Pferd, neuem Auto und »jeder Menge blonder Bräute«. Perry durfte jedoch unter keinen Umständen dahinterkommen – jedenfalls so lange nicht, bis er Dick mit seiner Gabe dabei geholfen hatte, seine hochgesteckten Ziele zu erreichen. Aber vielleicht hatte Dick sich ja verrechnet, war übers Ohr gehauen worden; wenn ja – wenn sich herausstellte, dass Perry doch bloß ein »mieser kleiner Strolch« war –, dann war »die Party« vorbei, Dicks monatelange Planung umsonst, blieb ihm nichts anderes übrig, als die Sache abzublasen. So weit durfte es nicht kommen; Dick stieg aus dem Wagen.
    Die Tür zur Herrentoilette war immer noch verriegelt.
    Er schlug mit der Faust dagegen. »Mensch,

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