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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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will, dann soll er’s nur probieren.« (Elf Monate später nahm eine maskierte Gangsterbande sie beim Wort, überfiel das Postamt und erleichterte die alte Dame mit Waffengewalt um neunhundertfünfzig Dollar.) Wie üblich stand Mrs. Clare mit ihrer Haltung ziemlich allein. »Schlösser und Riegel«, erklärte der Inhaber eines Eisenwarenladens in Garden City, »gehen bei uns weg wie warme Semmeln.
    Die Marke ist den Leuten egal; Hauptsache, die Dinger halten .« Die Fantasie vermag natürlich jede Tür zu öffnen – kaum hat der Schlüssel sich gedreht, kann der Schrecken Einzug halten. Eine Handvoll Fasanenjäger aus Colorado – Fremde, die von der hiesigen Tragödie nichts ahnten – staunten nicht schlecht über den Anblick, der sich ihnen bot, als sie mit ihrem Wagen am Dienstag, bei Morgengrauen, über die Prärie durch Holcomb kamen: fast alle Fenster in fast allen Häusern hell erleuchtet, und in den lichtdurchfluteten Zimmern vollständig angezogene Menschen, ja Familien, die offenbar die ganze Nacht lang aufgeblieben waren, wachend, lauschend. Wovor hatten sie Angst? »Es könnte wieder passieren.« So lautete, mit geringfügigen Variationen, die immer gleiche Antwort. Nur eine Frau, eine Lehrerin, bemerkte: »Die Gemüter wären nicht annähernd so erhitzt, wenn es nicht ausgerechnet die Clutters getroffen hätte. Sondern jemanden, der nicht so beliebt war. So wohlhabend. So unantastbar. Aber diese Familie verkörperte praktisch alles, was den Leuten hier hoch und heilig ist, und dass es gerade sie getroffen hat – das ist, als ob einem Gott genommen würde. Damit verliert das Leben seinen Sinn.
    Ich glaube, die Leute haben nicht unbedingt Angst, sie sind vielmehr tief deprimiert.«
    Ein weiterer Grund, der einfachste und zugleich abscheulichste, war der, dass diese bislang friedliche Gemeinschaft von Nachbarn und alten Freunden plötzlich mit Macht zu spüren bekam, was es heißt, einander zu misstrauen; begreiflicherweise glaubten sie, der Mörder sei einer von ihnen, und allesamt teilten sie die Meinung Arthur Clutters, eines Bruders des Verstorbenen, der am 17. November in der Lobby eines Hotels in Garden City vor Journalisten geäußert hatte: »Ich verspreche Ihnen, wenn dieser Fall geklärt ist, werden wir sehen, dass der Täter aus einem Umkreis von zehn Meilen stammt. So wahr ich hier stehe.«
     
    Etwa vierhundert Meilen östlich von der Stelle, wo Arthur Clutter damals stand, saßen zwei junge Männer an einem Tisch im Eagle Buffet, einem Diner in Kansas City. Der eine – schmalgesichtig und mit einer tätowierten blauen Katze auf der rechten Hand – hatte bereits mehrere Geflügelsalatsandwiches verdrückt und starrte nun gierig auf das Essen seines Begleiters: ein noch unberührter Hamburger und ein Glas Rootbeer, in dem sich drei Aspirin auflösten.
    »Perry, Baby«, sagte Dick, »du isst das Ding ja doch nicht. Komm, gib her.«
    Perry schob ihm den Teller hin. »Herrgott! Musst du mir dauernd dazwischenfunken?«
    »Du brauchst das doch nicht fünfzigmal zu lesen.«
    Es ging um einen Artikel auf der Titelseite des Kansas City Star vom 17. November mit der Schlagzeile VIERFACHER MORD GIBT WEITER RÄTSEL AUF. Der Artikel, ein ausführlicher Bericht über das am Vortag gemeldete Verbrechen, schloss mit einer Zusammenfassung des Tathergangs:
     
    Die Behörden stehen nunmehr vor der schwierigen Aufgabe, einen oder mehrere Täter zu ermitteln, deren Vorgehensweise zwar erhebliches Geschick, doch keinerlei Motiv erkennen lässt. Denn der oder die Täter
    – durchschnitten mit Vorbedacht die Kabel der beiden im Haus vorhandenen Telefone
    – fesselten und knebelten fachmännisch ihre Opfer, die offenbar keinerlei Widerstand leisteten
    – entwendeten nichts und rührten mit Ausnahme von (Clutters) Brieftasche im ganzen Haus nichts an
    – erschossen in verschiedenen Teilen des Hauses vier Personen und sammelten danach in aller Ruhe die ausgeworfenen Patronenhülsen ein
    – betraten und verließen das Haus, vermutlich mit der Mordwaffe, ohne gesehen zu werden
    – handelten ohne ersichtliches Motiv, wenn man von einem versuchten Raub absieht, was die ermittelnden Behörden jedoch ausschließen.
     
    »Einen oder mehrere Täter, deren …«, las Perry laut. »Das ist grammatikalisch falsch. ›Einen oder mehrere Täter, dessen oder deren‹, müsste es heißen.« Er trank einen Schluck von seinem Rootbeer mit Aspirin. »Von wegen keine Anhaltspunkte. Ich glaub kein Wort davon. Du doch auch

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