Kaltblütig
Mal die Flügel ausgebreitet hatte, als er sieben gewesen war, ein verhasstes, hasserfülltes kleines Halbblut in einem von Nonnen geleiteten Waisenhaus in Kalifornien – schwarz gewandete Zuchtmeisterinnen, die ihn prügelten, wenn er ins Bett machte.
Und nach einer dieser Züchtigungen, die er bis heute nicht vergessen hatte [»Sie weckte mich. Sie schlug mich mit einer Taschenlampe. Immer und immer wieder. Und als die Taschenlampe kaputtging, schlug sie mich im Dunkeln weiter«], war ihm der Papagei erschienen, im Schlaf, ein Vogel »größer noch als Jesus, gelb wie eine Sonnenblume«, ein Todesengel, der den Nonnen mit seinem gewaltigen Schnabel die Augen aushackte und sie zerfleischte, während sie »um Gnade flehten«, ihn dann, ganz sanft, umschloss, emporhob und mit ihm davonschwebte, ins »Paradies«.
Im Lauf der Jahre wandelten sich die Qualen, von denen der Vogel ihn erlöste; andere – ältere Kinder, sein Vater, ein treuloses Mädchen, ein Sergeant bei der Army – traten an die Stelle der Nonnen, der Papagei aber blieb, ein geflügelter Rächer. Weshalb die Schlange, Hüterin des Diamantenbaums, Perry auch nie gänzlich verschlang, sondern stets selbst verschlungen wurde. Und dann der Himmelsflug! Die herrliche Auffahrt in ein Paradies, das zumeist nur »ein Gefühl« war, ein Gefühl der Macht, der grenzenlosen Überlegenheit – Empfindungen, die bisweilen jedoch Gestalt annahmen als »ein realer Ort. Wie im Kino. Und vielleicht kannte ich ihn ja tatsächlich aus einem Film. Denn wo sonst sollte ich so einen Garten wohl gesehen haben? Mit weißen Marmortreppen? Und Springbrunnen? Noch dazu mit Blick aufs Meer.
Fantastisch! Wie bei Carmel in Kalifornien. Aber das Beste – also, das Beste ist ein langer, langer Tisch. Mit Bergen von Essen. Austern. Truthahn. Hot Dogs. Früchte, aus denen man tausend Früchtebecher machen könnte.
Und stell dir vor – das Ganze ist umsonst. Sprich, ich kann bedenkenlos zugreifen. Ich kann essen, so viel ich will, und es kostet keinen Cent. Da weiß ich doch genau, wo ich bin.«)
»Ich bin normal«, sagte Dick. »Ich träume bloß von blonden Bräuten. Wobei mir einfällt, kennst du den von der Ziege, die einen Albtraum hatte?« Das war typisch Dick – stets einen schmutzigen Witz auf den Lippen.
Doch er erzählte ihn gut, und obwohl Perry eigentlich ziemlich prüde war, musste er, wie immer, lachen.
Über ihre Freundschaft mit Nancy Clutter sagte Susan Kidwell: »Wir waren wie Schwestern. Zumindest war sie das für mich – so etwas wie eine Schwester. In den ersten paar Tagen konnte ich nicht zur Schule gehen. Ich blieb bis nach der Beerdigung zu Hause. Bobby Rupp auch.
Eine Zeitlang waren Bobby und ich ständig zusammen. Er ist ein netter Junge – er hat ein gutes Herz –, aber er hatte noch nie etwas so Schreckliches erlebt. Hatte noch nie einen geliebten Menschen verloren. Und dann musste er auch noch einen Lügendetektortest über sich ergehen lassen. Nein, sauer war er deswegen nicht; er wusste ja, dass die Polizei nur ihre Pflicht tat. Ich hatte schon einiges durchgemacht, er nicht, darum traf es ihn wie ein Schock, als er dahinterkam, dass das Leben kein ewiges Basketballspiel ist. Meistens fuhren wir in seinem alten Ford herum. Den Highway rauf und runter. Zum Flughafen und wieder zurück. Oder wir fuhren ins Cree-Mee – das ist ein Drivein –, saßen im Wagen, bestellten uns eine Cola und hörten Radio. Das Radio lief in einer Tour; wir hatten uns nicht allzu viel zu sagen. Bobby meinte, er hätte Nancy so sehr geliebt, dass er nie wieder eine andere lieben könnte. Das hätte Nancy aber sicher nicht gewollt, und das sagte ich ihm auch. Einmal – ich glaube, es war am Montag – fuhren wir zum Fluss hinunter. Wir parkten auf der Brücke. Von da aus kann man das Haus sehen – das Clutter-Haus. Und einen Teil der Farm – Mr. Clutters Obstgarten und die Weizenfelder dahinter. Auf einem Feld in der Ferne brannte ein Feuer; sie verbrannten die Sachen aus dem Haus. Wo man auch hinsah, alles weckte die Erinnerung. Männer mit Netzen und Stangen suchten das Flussufer ab, aber nicht auf Fische hatten sie es abgesehen. Sondern auf die Waffen, meinte Bobby. Das Messer. Das Gewehr.
Nancy liebte den Fluss. Im Sommer ritten wir abends oft zu zweit auf Babe – Nancys fettem, altem Grauschimmel.
Schnurstracks runter zum Fluss und geradewegs ins Wasser. Dann watete Babe durchs flache Wasser, während wir sangen und Flöte spielten. Bis es kühl
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