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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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nicht. Oder? Mal ehrlich, Dick. Glaubst du den Quatsch?«
    Nach der gestrigen Zeitungslektüre hatte Perry ihm dieselbe Frage gestellt, und Dick, der das Thema für erledigt hielt (»Verlass dich drauf. Wenn uns diese Cowboys auch nur das Geringste anhängen könnten, wären sie längst mit klappernden Hufen hinter uns her«), hatte Perrys Gerede gründlich satt. So satt, dass er nicht einmal mehr protestierte, als Perry jetzt wieder damit anfing: »Ich hab mich immer schon auf meine Eingebung verlassen. Nur deshalb bin ich überhaupt noch am Leben.
    Erinnerst du dich an Willie-Jay? Er meinte, ich wär ein geborenes Medium, und der kannte sich aus, der interessierte sich für solche Sachen. Er meinte, ich war mit einem hohen Maß an ›außersinnlicher Wahrnehmung‹  gesegnet. Das ist so ’ne Art eingebautes Radar – man sieht was kommen, bevor man es kommen sieht. Den Schatten, den künftige Ereignisse vorauswerfen. Zum Beispiel mein Bruder und seine Frau. Jimmy und seine Frau. Die waren ganz verrückt nacheinander, aber er war höllisch eifersüchtig und trieb sie im wahrsten Sinne des Wortes zur Verzweiflung mit seiner Eifersucht und seinem ewigen Misstrauen, von wegen dass sie hinter seinem Rücken die Beine breitmachte. Schließlich hat sie sich erschossen, und am nächsten Tag jagte sich Jimmy eine Kugel durch den Kopf. In dem Moment, als es passierte – 1949, ich war mit Dad oben in Alaska, in der Gegend von Circle City –, da sagte ich zu Dad: ›Jimmy ist tot.‹ Eine Woche später bekamen wir die Nachricht. Ich schwör’s.
    Ein andermal, in Japan, als ich beim Beladen eines Schiffes half, setzte ich mich hin, um ein Minütchen auszuruhen. Plötzlich sagte eine innere Stimme: ›Spring!‹
    Ich sprang vielleicht drei Meter, und in dem Moment kam eine tonnenschwere Ladung runter und landete genau da, wo ich eben noch gesessen hatte. Ich könnte dir hundert solcher Beispiele nennen. Ob du’s glaubst oder nicht.
    Zum Beispiel kurz vor meinem Motorradunfall, da sah ich alles genau vor mir, vor meinem geistigen Auge – den Regen, die Bremsspuren, ich blutüberströmt und mit gebrochenen Beinen auf der Straße. Und so geht es mir jetzt wieder. Ich hab ’ne Vorahnung. Irgendetwas sagt mir, dass das eine Falle ist.« Er tippte auf die Zeitung.
    »Ein Täuschungsmanöver, weiter nichts.«
     
    Dick bestellte sich noch einen Hamburger. Seit ein paar Tagen quälte ihn ein Hunger, den nichts – nicht einmal drei Steaks, ein Dutzend Schokoriegel oder ein Pfund Gummidrops – zu stillen vermochte. Perry hingegen hatte keinen Appetit; er ernährte sich von Rootbeer, Aspirin und Zigaretten. »Kein Wunder, dass du langsam durchdrehst«, meinte Dick. »Jetzt komm schon, Baby. Mach dir nicht ins Hemd. Wir haben ’nen Volltreffer gelandet. Es war perfekt.«
    »Was du nicht sagst«, erwiderte Perry mit ruhiger Stimme, was die Häme seiner Antwort noch betonte.
    Doch Dick nahm es gelassen hin, lächelte sogar – und sein Lächeln war eine geschickt gewählte Maske. Wer so unschuldig grinsen konnte, musste einfach ein liebenswerter Mensch sein, rechtschaffen, freundlich, ein netter Bursche, von dem sich jeder Mann getrost rasieren lassen würde.
    »Zugegeben«, sagte Dick. »Meine Informationen waren vielleicht nicht ganz richtig.«
    »Halleluja.«
    »Aber im Großen und Ganzen war es der perfekte Homerun. Wir haben den Ball mit Karacho aus dem Stadion befördert. Der ist weg. Den findet keiner mehr. Es gibt nicht die leiseste Verbindung.«
    »Mir fiele da schon eine ein.«
    Perry war zu weit gegangen. Er ging noch weiter: »Floyd – oder wie hieß er noch gleich?« Ein kleiner Schlag unter die Gürtellinie, aber den hatte Dick verdient, sein Selbstbewusstsein glich einem Drachen, der sich loszureißen und davonzufliegen drohte. Trotzdem beobachtete Perry mit einigem Unbehagen, wie sich die Wut in Dicks Physiognomie bemerkbar machte: Unterkiefer, Lippen, das ganze Gesicht erschlaffte; in den Mundwinkeln erschienen Speichelbläschen. Wenn er sich prügeln wollte, würde Perry sich zu wehren wissen. Er war zwar nicht besonders groß, ein ganzes Stück kleiner als Dick, und stand ein wenig wackelig auf seinen kaputten, kümmerlichen Beinen, aber er war schwerer als sein Freund, kräftiger, hatte Arme, mit denen er ohne Wieteres einen Bären hätte erwürgen können. Dies unter Beweis zu stellen – und es auf eine Prügelei, eine handgreifliche Auseinandersetzung ankommen zu lassen –, war jedoch alles andere als

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