Kaltblütig
ablegen. Vorausgesetzt, er bekommt die Belohnung.« (Eine Lokalzeitung, die Hutchinson News, hatte für jedwede Information, die zur Aufklärung des Verbrechens führte, eine Belohnung von tausend Dollar ausgesetzt.)
»Alvin, steckst du dir etwa schon wieder eine Zigarette an? Ehrlich, Alvin, kannst du nicht wenigstens versuchen zu schlafen?«
Doch selbst wenn er das Telefon hätte abstellen können, zum Schlafen war er zu nervös – zu gereizt und zu frustriert. Seine vermeintlichen »Spuren« führten allesamt ins Nichts oder doch bestenfalls in eine Sackgasse, die jedes Mal vor einer nackten Mauer endete. Bobby Rupp? Der Lügendetektor hatte Bobby entlastet, und Mr. Smith, der Farmer, der denselben Knoten beherrschte wie der Mörder – auch er schied als Verdächtiger aus, nachdem zweifelsfrei feststand, dass er sich in der Mordnacht »in Oklahoma« aufgehalten hatte. Blieben die Johns, Vater und Sohn, doch auch die hatten ein wasserdichtes Alibi.
»Und so«, um es mit Harold Nye zu sagen, »summiert sich alles zu einer hübschen runden Zahl. Null.« Selbst die Suche nach dem Grab von Nancys Katze war ergebnislos verlaufen.
Dennoch gab es die eine oder andere erfolgversprechende Entwicklung. Erst hatte Mrs. Elain Selsor, Nancys Tante, beim Durchsehen der Kleider ihrer Nichte eine in einer Schuhspitze versteckte goldene Armbanduhr gefunden. Dann hatte Mrs. Helm in Begleitung eines KBI-Agenten sämtliche Zimmer der River Valley Farm erkundet und war mit ihm durchs ganze Haus gegangen, in der Hoffnung, etwas zu bemerken, das nicht an seinem Platz stand oder fehlte. In Kenyons Zimmer hatten sie Erfolg. Mrs. Helm suchte und suchte, ging mit geschürzten Lippen auf und ab, berührte dies, berührte das – Kenyons alten Baseballhandschuh, Kenyons schlammbespritzte Arbeitsstiefel, seine traurig und verlassen daliegende Brille. Dabei flüsterte sie die ganze Zeit vor sich hin: »Irgendetwas stimmt hier nicht. Ich spüre es, ich weiß es, ich weiß nur nicht, was.« Da plötzlich fiel es ihr ein. »Das Radio? Wo ist Kenyons kleines Radio?« Diese Entdeckungen zwangen Dewey, Raub als Motiv von neuem in Betracht zu ziehen. Die Uhr war sicherlich nicht zufällig in Nancys Schuh geraten. Als Nancy dort im Dunkeln gelegen hatte, musste sie Geräusche – Schritte, vielleicht sogar Stimmen – gehört haben, die sie zu der Annahme verleiteten, dass Diebe sich im Haus befanden, und so hatte sie die Uhr – ein geliebtes Geschenk ihres Vaters – rasch versteckt. Das Radio hingegen, ein graues Kofferradio der Marke Zenith – kein Zweifel, das Radio war verschwunden. Trotzdem mochte Dewey sich nicht mit der Theorie anfreunden, dass die Familie wegen einer so lächerlichen Beute – »ein paar Dollar und ein Radio« – ermordet worden war. Denn dann hätte er sich von dem Bild verabschieden müssen, das er sich von dem Mörder oder, besser, den Mördern gemacht hatte. Seine Kollegen und er hatten sich inzwischen auf den Plural geeinigt. Die professionelle Durchführung des Verbrechens war Beweis genug, dass zumindest einer der beiden Täter über ein erhebliches Maß an kühler Berechnung verfügte und zu intelligent war – zu intelligent sein musste –, um ohne Vorsatz gehandelt zu haben. Zudem waren Dewey mehrere Besonderheiten aufgefallen, die ihn in seiner Überzeugung bestärkten, dass wenigstens einer der Mörder eine emotionale Beziehung zu den Opfern entwickelt und selbst in dem Augenblick, als er sie umbrachte, Mitleid, eine perverse Form der Zärtlichkeit für sie empfunden hatte. Wie sonst ließ sich der Matratzenkarton erklären? Die Sache mit dem Matratzenkarton stellte Dewey vor ein schier unlösbares Rätsel. Warum hatten die Mörder die Mühe auf sich genommen, den Karton aus einem entlegenen Winkel des Kellers hervorzuzerren und ihn vor dem Heizkessel auf den Fußboden zu legen, es sei denn, sie hatten es Mr. Clutter bequemer machen, ihm, als er das Messer auf sich zukommen sah, eine Lagerstatt bereiten wollen, die weniger hart war als der kalte Zement? Und beim Betrachten der Tatortfotos hatte Dewey weitere Einzelheiten ausgemacht, die seine Vorstellung von einem Täter stützten, dessen Handlungen von einem gewissen Mitgefühl zu zeugen schienen. »Oder« – er suchte, wie so häufig, nach dem richtigen Wort – »von Fürsorge. Von einem weichen Kern. Die Federbetten, zum Beispiel. Was für ein Mensch würde so etwas wohl tun – zwei Frauen fesseln, so wie Bonnie und Nancy gefesselt waren, und sie
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