Kaltblütig
hegen. Der Täter wird es schwer genug haben, mit sich und seiner Tat zu leben. Seelenfrieden wird er erst erlangen, wenn er dereinst vor seinen Schöpfer tritt und ihn um Vergebung bittet. Wir wollen ihm nicht im Wege stehen, sondern beten, dass er seinen Frieden finden möge.«
Perry und Dick hatten den Wagen auf einem Felsvorsprung geparkt und machten ein Picknick. Es war Mittag. Dick betrachtete die Aussicht durch ein Fernglas. Berge. Falken, die am weißen Himmel ihre Kreise zogen. Eine staubige Straße, die sich durch ein weißes, staubiges Dorf schlängelte. Heute war sein zweiter Tag in Mexiko, und so weit war alles nach seinem Geschmack – sogar das Essen.
(Er biss in eine kalte, ölige Tortilla.) Sie hatten die Grenze am Morgen des 23. November bei Laredo, Texas, überquert und ihre erste Nacht in einem Bordell in San Luis Potosi verbracht. Jetzt befanden sie sich etwa zweihundert Meilen nördlich von Mexico City, ihrem nächsten Ziel.
»Weißt du, was ich glaube?«, fragte Perry. »Ich glaube, mit uns stimmt was nicht. Sonst hätten wir das wohl kaum getan.«
»Was?«
»Na, was wohl?«
Dick verstaute das Fernglas in einem Lederetui, einem luxuriösen Behältnis mit den Initialen H. W. C. Er war sauer. Stocksauer. Konnte Perry nicht ein Mal seine blöde Fresse halten? Wieso grub er die Scheißgeschichte alle naslang wieder aus? Was hatte er davon? Herrgott. Es war zum Kotzen. Zumal sie sich mehr oder weniger darauf geeinigt hatten, kein Wort mehr darüber zu verlieren.
Schluss, Aus, Sense.
»Mit jemandem, der so was fertigbringt, kann doch irgendwas nicht stimmen«, sagte Perry.
»Da muss ich passen, Baby«, sagte Dick. »Ich bin normal.« Und das meinte er durchaus ernst. Dick hielt sich für ebenso besonnen und vernünftig wie die meisten Menschen – er war vielleicht etwas intelligenter als der Durchschnitt, mehr aber auch nicht. Perry hingegen – mit dem »kleinen Perry« stimmte tatsächlich etwas nicht.
Und das war noch harmlos ausgedrückt. Letztes Frühjahr, in ihrer Doppelzelle im Kansas State Penitentiary, hatte er Perrys kleine Eigenheiten aus erster Hand kennen gelernt: Perry benahm sich manchmal »wie ein Baby«, machte ins Bett und weinte im Schlaf (»Dad, ich hab dich überall gesucht, wo warst du, Dad?«) oder »lutschte stundenlang am Daumen und schmökerte in seinen albernen Schatzführern«. Das war die eine Seite. Andererseits war der gute Perry bisweilen »richtig unheimlich«. Vor allem was sein Temperament betraf. Er geriet schneller in Rage als »zehn besoffene Indianer«. Das merkte man ihm jedoch nicht an. »Auch wenn er einen am liebsten umgebracht hätte, sah oder hörte man ihm das nicht an«, sagte Dick einmal. Denn sosehr es in ihm brodelte und kochte, äußerlich blieb Perry kühl, ein harter Bursche mit ruhigen, stets leicht schläfrigen Augen. Eine Zeitlang hatte Dick geglaubt, die Temperatur dieser fiebrigen Anfälle, die seinen Freund in eisglühender Wut erstarren ließen, regulieren, kontrollieren zu können. Doch das war ein Irrtum, und seit dieser Erkenntnis war er sich nicht mehr so recht im Klaren darüber, was er von Perry halten sollte – er wusste nur, dass er eigentlich Angst vor ihm hätte haben müssen, und fragte sich, warum er keine hatte.
»Nie im Leben«, fuhr Perry fort, »hätte ich gedacht, das ich zu so was fähig war. In tausend Jahren nicht.«
»Und was war mit dem Nigger?«, fragte Dick. Schweigen. Dick merkte, dass Perry ihn anstarrte. Vor einer Woche, in Kansas City, hatte sich Perry eine dunkle Brille zugelegt – ein ausgefallenes Modell mit versilbertem Gestell und verspiegelten Gläsern. Dick gefiel die Brille nicht; er schäme sich, mit jemandem gesehen zu werden, »der so einen Flitterkram spazieren trägt«, hatte er Perry erklärt. Dabei störten ihn vor allem die verspiegelten Gläser; dass Perry seine Augen hinter getönten, schimmernden Ovalen versteckte, erfüllte ihn mit Unbehagen.
»Aber das war doch bloß ein Nigger«, sagte Perry. »Das ist was anderes.«
Die zögernd vorgebrachte Bemerkung veranlasste Dick zu der Frage: »Oder hast du ihn am Ende gar nicht umgebracht?« Eine heikle Frage, da sein ursprüngliches Interesse an Perry, seine Einschätzung von Perrys Charakter und Potenzial einzig und allein auf der Geschichte von dem Farbigen beruhte, den Perry angeblich erschlagen hatte.
»Doch, klar. Nur – ein Nigger. Das kann man nicht vergleichen«, sagte Perry. »Aber weißt du, was mir bei der Sache
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