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Kalte Fluten

Kalte Fluten

Titel: Kalte Fluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Westerhoff
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es ein echter Notfall ist – und darum handelt es sich hier, das müsst ihr mir glauben –, muss ich dahin. Vielleicht bin ich ja schon in wenigen Stunden zurück«, sagte er noch.
    »Wenn du jetzt gehst, brauchst du gar nicht mehr wiederzukommen«, tobte Wiebke mit Tränen in den Augen.
    »Sei nicht albern«, sagte Thomas, drehte sich um und ging. Er ging wirklich. Mit festem Schritt verließ er das Restaurant so schnell, dass er nicht einmal bemerkte, dass ihm Wiebke ihr Weinglas hinterherwarf. Die Ober beseitigten die Scherben so diskret, wie es nach diesem Auftritt nur irgendwie ging. Aber die übrigen Gäste hatten längst genug Stoff für eine phänomenale Story bei ihrer nächsten Party oder dem Kaffeekränzchen zusammen.
    Und jetzt, Mama?
    Mama sagte nichts. Ein schlechtes Zeichen.
    »So ein Wichser«, raunte Randolf Günter zu.
    Der zuckte die Schultern. »Sie wollte ihn«, sagte er.
    Sollte so langsam die Glut doch erlöschen?
    Es war inzwischen fast Viertel vor fünf. Von den vier Bars der Nobelherberge hatte jetzt nur die Kaminbar geöffnet. Die befand sich in der großen Lobby des Hotels. Der Blickfang war der namensgebende Kamin in der Mitte des Raumes. Man saß auf oder besser versank in schweren Ledermöbeln. Es gab hauptsächlich Bier. Doch dem Barkeeper war die außergewöhnliche Situation der Braut nicht entgangen. Er wäre bereit gewesen, auch die edelsten Cocktails zu mixen.
    Doch Wiebke wollte nur Bier. Viel Bier.
    Der Alkohol löste die Zungen kaum. Was sollten sie auch sagen? Randolf hütete sich vor der Aussage: »Ich habe es ja gleich gesagt.« Er fürchtete wohl nicht zu Unrecht, dass sie dies mindestens mit einer Ohrfeige quittieren würde und anschließend einen hysterischen Anfall bekäme.
    Günter wusste, dass er allenfalls sagen könnte, dass ihr so etwas mit ihm nicht passiert wäre. Aber das würde ihr kaum helfen. Sie wollte ihn nicht. Sie wollte so jemanden wie Thomas. Also musste sie damit klarkommen, dass dieser Mann eben die Klinik über seine Ehe stellte.
    Aber da war noch etwas anderes, was ihn zum Schweigen zwang. Er war auch zu stolz, das Substitut zu sein. Der Ersatz, weil der andere, der ihm vorgezogen wurde, sich als schlechter Ehemann herausstellte. Und das schon am Tage der Hochzeit. Nein, für diese Rolle war er sich zu schade.
    Wolfgang war immer noch viel zu sehr mit sich und seinem Schicksal beschäftigt, als dass er in der Lage gewesen wäre, als Seelentröster zu fungieren.
    Sie tranken also, bis gegen neunzehn Uhr ein sichtlich peinlich berührter, unsicherer Page der Jachtresidenz »Hohe Düne« erschien.
    »Frau Schulte?«, fragte er unsicher.
    Niemand antwortete.
    »Ist hier eine Frau Schulte?«, fragte er lauter und eindringlicher.
    Dann fiel es Wiebke siedend heiß ein. Das war ja sie. Erst seit ein paar Stunden. Aber dennoch.
    »Ja?«
    »Äh, ich habe eine Nachricht von Ihrem Mann. Herr Dr. Schulte lässt ausrichten, er müsse in der Klinik bleiben. Der Fall sei schwerer, als er befürchtet hatte. Er habe versucht, Sie alle hier auf dem Handy zu erreichen, aber Sie hätten wohl Ihre Mobiltelefone ausgeschaltet.«
    Wiebke schossen die Tränen aus den Augen. Tränen der Enttäuschung. Tränen der Wut.
    »Kann ich etwas für Sie tun?«, fragte der Page noch. Wiebke schüttelte den Kopf.
    »Doch«, sagte Randolf. »Bringen Sie uns eine Flasche Wodka. Vom besten. Und setzen Sie sie Herrn Dr. Schulte auf die Rechnung.« Der Page nickte.
    Sie hielt es noch bis kurz vor zehn aus. Dann lallte Wiebke: »Günter, bitte bring mich ins Bett.«
    Günter schaute Randolf fragend an. Der bedeutete ihm, zur Vermeidung eines weiteren Skandals besser zu tun, was Wiebke wollte.
    Also nahm er die schwankende Braut, ging mit ihr zur Rezeption und ließ sich den Schlüssel zur »Owner’s Suite«, die für sie und Thomas gebucht war, und den Schlüssel für sein eigenes Zimmer geben.
    Er öffnete die Tür zur Suite und begleitete Wiebke zum Bett.
    »Bitte«, lallte sie. »Lass uns noch etwas trinken.«
    »Ich glaube, du hast genug«, sagte Günter, dem der Alkohol heute irgendwie gar nichts auszumachen schien. Seine Gedanken waren klar. Sein Gang geradeaus. Seine Stimme fest.
    »Bitte, es ist«, sagte sie undamenhaft rülpsend, »es ist mein Tag. Der schönste Tag meines Lebens.«
    Günter konnte ihr immer noch nicht widerstehen. Diese Augen. Dieser Aufschlag der Wimpern. Diese Stupsnase.
    »Was willst du denn?«, ergab er sich.
    »Sekt«, rief sie lachend. »Ich will feiern.

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