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Kalte Fluten

Kalte Fluten

Titel: Kalte Fluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Westerhoff
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meine eigene Dosis dabei«, sagte er, nahm einen Schluck und deutete dann auf die Tür. »Begleiten wir Wiebke. Sie will es so.«
    Günter seufzte. Er wusste, dass Randolf recht hatte.
    Leider.
     
    Standesamtliche Trauungen haben immer den Charakter eines künstlich aufgepeppten behördlichen Verwaltungsaktes. Auch wenn man sich noch so viel Mühe mit dem Ambiente, dem Blumenschmuck und der musikalischen Unterhaltung gibt. Das Gefühl der transzendentalen Ergriffenheit, die selbst grob geschnitzte Charaktere bei einer kirchlichen Hochzeit ergreift, erreicht eine standesamtliche Zeremonie niemals.
    Wiebkes und Thomas’ Feier für den Bund ihres Lebens machte da keine Ausnahme. Natürlich waren alle Extras wie Arrangements, Musikbegleitung und die ausführliche Rede des Standesbeamten, der auf die Vita des Paares einging, gebucht worden. Und doch saßen sie nur vor einer Art Notar, der einen Vertrag zwischen zwei Menschen, in Zukunft gemeinsam leben zu wollen, beurkundete. Nicht mehr und nicht weniger.
    Beim Satz »Und hiermit erkläre ich euch zu Mann und Frau« schossen Wiebke die Tränen in die Augen. Sie wollte ihn. Sie hatte ihn. Sie hatte es geschafft.
    Aber wo war, verdammt noch mal, das Glück?
    Die Glücksgefühle kommen, Wiebke. Hab Geduld.
    Hoffentlich, Mama.
    Für Günter war der Satz ein Stich in sein Herz. Er spürte körperlichen Schmerz. Doch er hörte nicht das sehnlich erwartete Zischen der schnell erkaltenden Leidenschaft. Im Gegenteil. Der Spruch wirkte wie ein Luftzug, der die Glut erst richtig zum Lodern brachte.
    Randolf sah ihm tief in die Augen und deutete mit einem vielsagenden Gesichtsausdruck auf seine Brusttasche, während Thomas und Wiebke den Vertrag unterzeichneten.
     
    Die Katastrophe begann um sechzehn Uhr dreizehn. Die Ober in dem internationalen Restaurant »Brasserie« in der Jachthafenresidenz »Hohe Düne« trugen gerade die Dessertteller ab. Die Erdbeer-Rhabarber-Grütze mit halb geschlagener Sahne hatte das Hochzeitsmenü abgerundet. Die Köche des Nobelhotels am Jachthafen in Warnemünde wurden ihrem Ruf gerecht. Als Vorspeise hatte die kleine Hochzeitsgesellschaft eine warme geräucherte Lachspraline auf Safran-Joghurtsauce mit wildem Thai-Spargel und Friséespitzen, gefolgt von einer leichten Hummersuppe, genießen dürfen. Der Hauptgang, bestehend aus einem gebratenen Zanderfilet an Orangensauce mit Marktgemüse und neuen Kartoffeln, war eine Offenbarung deutscher Küchenleistung.
    Dass Randolf und Günter nur mit viel kalifornischem Chardonnay die Feier überstanden, besonders Randolf, dem es als Quasi-Brautvater nicht erspart blieb, eine Rede auf das glückliche Paar zu halten, war nicht die Katastrophe.
    Auch Wolfgang ersparte allen den befürchteten alkoholischen Absturz. Er hielt sich im Wesentlichen an Wasser. Als Freund der eher deftigen Küche wäre ihm ein anständiger Schweinebraten lieber gewesen. Aber er hatte nichts gesagt.
    Nein, die Katastrophe wurde von außen an die kleine Gesellschaft herangetragen und kündigte sich durch ein leises Klingeln in der Brusttasche des Bräutigams an. Er hatte tatsächlich sein Handy dabei. Am wichtigsten Tag seines Lebens.
    Doch damit nicht genug. Er nahm das Gespräch entgegen, statt den Anrufer einfach wegzudrücken.
    Wiebke hatte einen Gesichtsausdruck, der ungläubiges Staunen, Fassungslosigkeit und Wut in einem zeigte. Sollte er doch tatsächlich am Tag ihrer Hochzeit mit einem Patienten telefonieren?
    Vielleicht ist es ja Daniel, dachte sie dann. Das würde sie vielleicht noch verstehen. Immerhin hatte sie zur Bedingung gemacht, dass dieser Typ nicht eingeladen würde. Möglicherweise wollte er sich erkundigen, wie es seinem Bruder ergangen war, und ihm viel Glück wünschen.
    Aber es war viel schlimmer. Thomas entschuldigte sich kurz, ging in die Hotellobby und kam mit nachdenklichem Gesicht zurück.
    Vier Augenpaare fixierten ihn. Er räusperte sich.
    »Es tut mir leid«, sagte er. »Und es ist sicher etwas unpassend, das muss ich zugeben. Aber es war die Klinik. Ein Notfall. Ich muss dahin.«
    »Du bleibst hier«, schrie Wiebke in einer Lautstärke, dass sich die übrigen Gäste in dem um diese Nachmittagszeit überraschend gut besuchten Restaurant zu ihnen umdrehten. Eine Braut, die während des Menüs ihren Bräutigam anbrüllte. Was für eine Show!
    »Nein, Wiebke«, sagte Thomas mit einem ernsten und an seinem Entschluss keinen Zweifel lassenden Gesicht. »Ich trage die Verantwortung für meine Patienten. Wenn

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