Kalte Fluten
antworten die mit einem dämlichen Grinsen ›Yes, yes, please‹ und geifern den wackelnden Titten hinterher.«
»Das werde ich wohl hinkriegen«, sagte Lydia gelangweilt. Sie griff mit beiden Händen an ihre Brüste und presste sie zusammen.
»Darum geht es nicht. Das ist nur die Fassade. Du wirst Bodypackerin.«
Lydia hatte keine Ahnung gehabt, was Fritjof damit meinte. Doch noch am selben Abend hatten sie »geübt«. Sie war begabt, wie sich herausstellte. Sie unterdrückte den Brechreiz, als sie versuchsweise fünfzig mit Mehl gefüllte Kondome schluckte. Sie wusste, dass sie es tun musste. Dieser kleine Dienst war doch nur eine kleine Gegenleistung dafür, dass Fritjof ihr so viele Tickets ins Wunderland gab, wie sie wollte. Wie sie brauchte.
Zwei quälende Tage hatte sie keinen Stuhlgang gehabt. Die Dosierung des die Darmtätigkeit lähmenden Medikamentes war zu hoch gewesen. Doch nach einer Woche Training war sie so weit. Lydia schaffte es, innerhalb einer Stunde hundert Kondome zu schlucken. Nach zehn Stunden schied sie die sorgfältig verschlossenen Latex-Behältnisse wieder aus.
Sie inhalierte noch mal tief den Rauch des Joints. Heute Nacht war es wieder so weit. Sie würde ein Kilo reinen Stoff auf etwa hundert Kondome verteilen. Dann würde sie eine Stunde lang schlucken. Den Brechreiz niederkämpfen. Wieder schlucken. Bis ihr Körper die Verpackung für die Ware geworden war.
Jedes einzelne Kondom enthielt genug Gift, um vierzig Menschen umzubringen. Aber auch genug Stoff, um vierhundert Menschen Glück, Zufriedenheit und Zuversicht zu geben. Für eine kurze Zeit.
Fritjof kaufte nur reines Heroin. Mindestens neunzig Prozent des Pulvers waren Wirkstoff. Erst Christof streckte die Ware auf die handelsübliche Konzentration von etwa zehn Prozent. In Rostock wurden somit aus einem Kilo Rohware zehn Kilo Handelsware. Verpackt in Tütchen zu je fünf Gramm. Die brachten zwischen hundertfünfzig und zweihundert Euro.
Sven verlangte um die fünfzigtausend Euro für ein Kilo. Fritjof machte zwischen dreihundert- und fünfhunderttausend daraus. Jede Woche. Ein lukratives Geschäft.
»Mädchen«, hörte sie Fritjof wieder durch die Watte hindurch sagen. »Nimm das reine Zeug bloß nicht selbst. Es würde dich umbringen.«
Das hatte sie auch nicht vorgehabt. Den Fehler hatte sie schließlich schon einmal gemacht. Bei einer an die Droge nicht gewöhnten Person waren bereits etwa fünfzig Milligramm reiner Stoff eine tödliche Menge, also ein halbes Gramm von der Qualität, wie sie Fritjof auf der Straße anbieten ließ. Sie als Abhängige brauchte mehr und nahm mehr. Aber mehr als zweihundert Milligramm würden auch eine Gewohnheitsfixerin wie sie töten. Es sei denn, man verabreichte ihr rechtzeitig Naloxon.
Die gestreckte Ware, deren Dosis sie einschätzen konnte, genügte ihr vollauf.
Lydia drückte die Reste ihres Joints aus und verließ das »Tuintje«. Die Wochenendtouristen waren da, und nicht wenige würden ihren Abend im »Naked Boobies« verbringen. Um sechs Uhr sechzehn ging dann der ICE. Erster Klasse natürlich. Nach einmal umsteigen würde Lydia um fünfzehn Uhr fünfzehn in Rostock sein und über einem Gitter im Klo ihre wertvolle Fracht abladen, sauber waschen und fertig. So schlimm war der Job dann auch wieder nicht.
***
Wolfgang hatte es kommen sehen. Sie lebten nicht mehr mit-, sondern nur noch nebeneinander. Wenn Wolfgang ehrlich war, schon seit Jahren. Seit jener Zeit, als ihre Sonne untergegangen war und ihn und Caroline in der kalten, dunklen Nacht zurückgelassen hatte.
Sie quälten sich nicht mit Worten. Sie quälten sich nicht mit Taten. Sie quälten sich durch Schweigen. Eisiges Schweigen.
Er tröstete sich mit Weißbier und Obstler.
Sie ließ sich durchs Fernsehen betäuben.
Er hielt es nicht mehr aus.
Sie hielt es nicht mehr aus.
Und zog die Konsequenzen.
Bei seiner Heimkehr heute war ihm auf Anhieb alles klar, als er seinen Corolla nicht vor dem Haus parken konnte, weil dort ein Möbelwagen stand. Auf der kleinen Straße parkte außerdem ein Opel Astra mit Starnberger Kennzeichen. Der Wagen ihrer Schwester.
Verschwitzte Männer trugen große Umzugskartons aus dem reetgedeckten Haus in den Vierzehntonner. Sie beachteten Wolfgang nicht, der verloren in der Diele stand und mit Tränen in den Augen das geschäftige Treiben beobachtete.
»Ach, hallo«, hörte er neben sich eine unsichere Stimme sagen.
»Grüß Gott, Brigitte«, begrüßte Wolfgang seine
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