Kalte Fluten
hier war »Moet kunnen«.
Sie rauchte einen Joint. Tief inhalierte sie den süßlichen Dunst. Dazu trank sie ein Amstel. Nach einer halben Stunde nahm sie die Stimmen in ihrer Umgebung nur noch wie durch Watte wahr. Sie verstand, was die Leute sprachen. Aber sie sagten es von weit, weit weg. Nur wenn sie es wollte, musste sie darauf reagieren.
Es war schön hier. Heute Abend würde sie ihren Job im »Naked Boobies« machen. Sie würde ein paar geifernden Touristen ihre Titten präsentieren und aufpassen, dass die anderen Mädchen sie und Fritjof nicht betrogen. Das war in Ordnung.
Dieser Job war okay.
Dann aber hatte sie einen anderen Job zu erledigen.
Der Job war widerlich.
Morgen ging es mit dem Zug nach Rostock. Gerade hatte sie noch Angst davor gehabt. Doch das THC, der Wirkstoff des Cannabis, tat seine Pflicht. Sie hatte bereits ein seliges Grinsen im Gesicht. Jede Arbeit hatte so ihre Herausforderungen. Sie war eine Bodypackerin geworden. Warum nicht? In ihrem umnebelten Hirn erschien wie durch einen Weichzeichner Fritjof. Fritjof Hansen, ihr Freund, der in Rostock drei Nachtclubs und zwei Diskotheken betrieb. Und eben das »Naked Boobies« in Amsterdam. Läden, in denen nicht einmal ein ganzes Rudel von Spürhunden auch nur einen Hauch von Drogen erschnüffeln konnte. Seine Läden waren seine Fassade. Ein bürgerlicher Schutzwall, um sein eigentliches Tun zu kaschieren.
Sie hatte ihn durch Christof kennengelernt. Von Christof hatte sie die ersten Tickets in ihr Wunderland geschenkt bekommen. Bis sie sie schließlich kaufen musste. Da war es schwierig geworden. Sie brauchte hundert Euro am Tag. Mindestens. Das waren dreitausend Euro im Monat. Bald waren ihre Ersparnisse aufgebraucht. Auch das Geschenk von Oma aus Tutzing zum achtzehnten Geburtstag, ein Sparbuch mit einem Guthaben von damals immerhin dreißigtausend Mark, also gut fünfzehntausend Euro, war bald verbraucht. Als sie schon überlegte, ob sie auf den Strich gehen sollte, stellte Christof ihr Fritjof vor, und sie wurde seine Geliebte.
Sie hatte nicht gewusst, dass Fritjof hinter dem Drogenhandel in Rostock steckte. Gefragt hatte sie ihn jedenfalls nie danach. Aber da er dafür gesorgt hatte, dass Christof ihr den Stoff umsonst gab, war es ihr auch so klar.
Weil sie das bekam, was sie brauchte, tat sie für ihn, was er wollte. Und er wollte, dass sie als Geschäftsführerin und Animierdame in seiner Rostocker Bar arbeitete. Knapp bekleidet sollte sie Männer zum Trinken verführen.
Er verlangte nicht, dass sie mit ihnen schlief. Er war kein Zuhälter. Aber er hatte nichts dagegen, dass sie es tat. Sie sollte schließlich die Illusion bei den Gästen aufrechterhalten, dass diese frustrierten Gestrandeten die Möglichkeit dazu hätten, wenn sie nur genug Champagner kauften. Wenn sie die Illusion Realität werden ließ, war das ihre Entscheidung, und das Geld durfte sie behalten.
Lydia war gut. Im Grunde waren ihre Kunden doch ihre Seelenverwandten. Auch sie waren auf der Suche nach dem Wunderland. Und Lydia war die Droge, mit deren Hilfe ihre Süchtigen der Realität für einen rauschhaften Augenblick entkommen konnten.
Als sie vor ihrem Vater geflüchtet war und sich auf Fritjofs Sofa das erste Heroin seit Wochen durch die Nase gezogen hatte, war er schließlich selbst damit herausgerückt. Sie hörte wieder seine Stimme. Unwirklich klar. Hämmernd. Fordernd. Brutal.
»Ich vertraue dir«, sagte er. »Und ich rate dir, mein Vertrauen nicht zu missbrauchen.«
»Natürlich nicht«, antwortete Lydia. Die Wirkung des Heroins setzte, über die Nasenschleimhäute aufgenommen, nicht so vehement ein wie sonst. Der Jet hatte Probleme mit dem Steigflug. »Worum geht es denn?«
»Ich brauche Leute, die für mich das Heroin schmuggeln.«
»Für dich?«, fragte Lydia in gespielter Überraschung. »Ich dachte immer, der Christof –«
»Christof ist nur mein Angestellter. Doch jetzt muss ich die Sache selbst in die Hand nehmen. In letzter Zeit ist mir zu viel schiefgegangen.«
»Was denn?«
»Das geht dich nichts an«, sagte Fritjof scharf. »Ich will nur wissen, ob du bereit bist, für mich einmal in der Woche einen schwierigen Job zu übernehmen.«
»Was soll ich denn tun?«
»Offiziell wirst du Geschäftsführerin vom ›Naked Boobies‹, meinem Club in Amsterdam. Da tanzen jeden Abend Mädchen vor staunenden Japanern. Die kleinen Schlitzaugen werden ganz groß. Wenn dann die barbusige Kellnerin fragt, ob sie noch was trinken wollen,
Weitere Kostenlose Bücher