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Kalte Fluten

Kalte Fluten

Titel: Kalte Fluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Westerhoff
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zu lächeln. Mit einem Ruck nahm sie erneut den Apparat in die Hand. Sie drückte die verdammte Taste. Ihre Hände zitterten.
    Wiebke!
    Still, Mama.
    »Der Teilnehmer ist momentan nicht erreichbar. Bitte versuchen Sie es später noch einmal. The person you have called is temporarily not available. Please try again later. «
    Scheiße.
    Der Kandidat blieb bei Antwort »B«. Sie war richtig. Wenigstens einer, der Glück hatte.
    Krümel hatten sich auf ihrem Schlabbershirt gesammelt. Sie trug dazu eine weite Hose aus Fleecestoff. Gammellook. Aber für wen sollte sie sich auch herausputzen?
    Da läutete es. Viertel vor neun.
    Günter, dachte sie. Mist, wie sehe ich aus? Wie sieht es hier aus?
    Mit hektischen Griffen verstaute sie die leeren Flaschen im Kühlschrank und raste zur Tür. Sie hoffte, dass sie keine allzu offensichtliche Fahne hatte und man ihr den Alkoholkonsum nicht sofort anmerkte. Sie lugte durch den Spion. Ihr Herz blieb fast stehen, als sie den Mann vor ihrer Wohnung erkannte.
    »Du?«, fragte sie atemlos erstaunt, als sie die Tür geöffnet hatte.
    »Ja, ich«, sagte Thomas lächelnd. Er hatte einen Strauß Rosen in der rechten und eine Flasche »Moët & Chandon« in der linken Hand.
    Danke, lieber Gott, dass du mich vor dieser Dummheit bewahrt hast. Danke, dass sein Handy aus war.
    Danke auch dir, Mama.
    Du willst aber auch nie hören!
    Thomas betrat die Wohnung, während Wiebke versuchte, die restlichen Krümel von ihrer Kleidung abzuklopfen.
    »Geh schon mal vor«, sagte sie verschämt. »Ich ziehe mich rasch um.«
    »Du bist eine bemerkenswert schöne Frau. Besonders dann, wenn du nicht verkleidet bist. Ich liebe dich so, wie du bist.«
    Siehst du, Wiebke?
    Ja doch, Mama.
    Sie holte zwei Sektgläser, und Thomas schenkte ein.
    Sie stießen an.
    »Ich denke, du hast heute eine Fortbildung?«, fragte Wiebke.
    »Hatte ich auch. Aber ich habe mich in der Pause mit Kopfschmerzen verabschiedet. Ich dachte, ich müsste mich auch mal um dich kümmern.«
    Sie plauderten fast zwei Stunden. Thomas erzählte von seinen Patienten. Natürlich ohne Namen zu nennen. Aber er erzählte, wie er mit all seiner ärztlichen Kunst versuchte, Menschen zu helfen. Wie es ihm gelang, »Verrückten« Wege zu zeigen, mit sich selbst wieder klarzukommen. Und dass viele eigentlich gar nicht verrückt waren, sondern nur anders. So anders aber, dass sie damit nicht mehr in die Gesellschaft passten.
    Wiebke wiederum tat es gut, einem verständnisvollen, intelligenten Mann und interessierten Zuhörer von ihrem Beruf zu erzählen. Sie hatte weniger Bedenken, die Namen und die Details zu offenbaren. Der Mann war ja schließlich Arzt. Und ein Arzt hatte doch eine Schweigepflicht.
    Sie schilderte ihm das Grundproblem aller Polizisten, vor allem solcher der Mordkommission: Seit Kain und Abel brachten sich die Menschen gegenseitig um. Die Motive waren immer die gleichen. Gier, Rache, Eifersucht, manchmal sogar bloße Mordlust. Wiebke und ihre Kollegen mussten dann in dem Abschaum wühlen und versuchen, die Täter dingfest zu machen. Täter, die manchmal nicht einen Hauch menschlicher Regung zu haben schienen. Denen die Tat nicht einmal leidtat. Tiere, die ein anderes Tier gerissen hatten.
    Waren wir nicht alle Tiere? Würden wir nicht alle zu Mördern werden, wenn die Situation dies erforderte? Diese Fragen belasteten sie seit Jahren. Endlich konnte sie sie mit jemandem besprechen, der mehr als leere Phrasen dazu zu sagen wusste.
    Inmitten ihres tiefgründigen Gesprächs wurde Wiebke immer wieder vom fein geschnittenen Profil des Mannes neben ihr abgelenkt. Sie versuchte mehr und mehr und mit allen Tricks, Thomas zu verführen.
    Wie zufällig landete ihre Hand auf seinen Schenkeln. Mit leicht massierenden Bewegungen arbeitete sie sich zielstrebig in Richtung Schritt vor. Ihre andere Hand kraulte seinen Nacken. Sie wollte ihn. Jetzt. Natürlich wusste sie, dass es wieder nur eine Nummer in Missionarsstellung im Dunkeln werden würde. Licht verabscheute er.
    Aber egal. Nur heute nicht allein einschlafen.
    Sein Blick wanderte zur Uhr.
    »Gleich elf«, sagte er und stand mit einem Ruck auf. »Ich muss schlafen gehen.«
    »Bleib bitte heute hier«, flehte sie mit zittriger Stimme. »Ich brauche dich.«
    »Du kennst meine Prinzipien«, sagte er streng. »Bis freitags bin ich um elf im Bett. Samstags spätestens um zwölf. Woanders kann ich nicht richtig schlafen. Ich habe einen anstrengenden Beruf und muss darauf achten, immer fit zu sein. Das

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