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Kalte Fluten

Kalte Fluten

Titel: Kalte Fluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Westerhoff
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verstehst du doch?«
    »Ja, sicher«, log sie. Sie hatte schließlich auch einen Beruf. Morgen zum Beispiel hatte sie Bereitschaft. Zusammen mit Wolfgang. Aber deshalb konnte sie doch heute vögeln. Sie zweifelte an sich selbst. War sie nicht sexy genug? Lag es an ihrem Schlabberlook? Warum hatten dann früher alle anderen derbe Sachen zu ihr gesagt? Thomas würde sich eher die Zunge abbeißen, als die Worte »Fick mich« in den Mund zu nehmen.
    Im Flur gab er ihr einen Kuss auf die Stirn.
    »Morgen können wir kuscheln, wenn du willst«, sagte er. »Falls wir rechtzeitig von dem Besuch bei Günter zurück sind. Wolfgang braucht unsere Unterstützung wohl sehr.«
    »Ja«, sagte Wiebke trocken. Ihr Anfall von Wollust wich für den Augenblick der Sorge um ihren Chef und Freund. »Morgen haben Wolfgang und ich Bereitschaft. Das erhöht die Chance, dass er bis zum Abend einigermaßen nüchtern bleibt. Dann fahren wir zu Günter. Er will was kochen, hat er gesagt.«
    »Okay, bis morgen also«, sagte Thomas noch einmal und verschwand.
    Vermutlich wird es morgen wieder nichts mit dem Vögeln, dachte Wiebke. Die Abende bei Günter pflegten lange zu dauern, jedenfalls meistens länger als seine Deadline um kurz vor zwölf.
    Ihre Selbstzweifel mutierten zur Verzweiflung. Sollte es wirklich so sein, dass er den Sex nur über sich ergehen ließ, weil er wusste, dass sie das hin und wieder brauchte? War es wirklich so eine Strafe, sie bumsen zu müssen?
    Wiebke setzte sich auf ihr wieder verwaistes Sofa. Sie leerte den letzten Rest des Champagners. Ihre Hand fuhr wie zufällig über ihren Körper. Sie stellte sich vor, es wären Günters Hände.
    Günter?
    Ja, Günters Hände waren auch dabei. Aber es waren noch mehr. Drei, vier Männer machten sich an ihr zu schaffen. Sie liebten sie nicht. Sie wollten sie nur. Sie wollten ihren weiblichen, willigen Körper. Und sie wollte, dass sie ihn wollten.
    Männer, die wussten, was und wie sie es zu tun hatten. Männer, die sie einfach nahmen. Die ihre Brüste, ihren Hintern und ihre Vagina schätzten. Die mit einer spielerischen Sicherheit ihre Schwänze genau dann und genau dort platzierten, wo sie zum jeweiligen Zeitpunkt hingehörten, damit sie in den siebten Himmel kam.
    Mit einem erlösenden Aufschrei bekam sie ihren Orgasmus.
    Wiebke! Schäm dich!
    Lass mich doch ein bisschen träumen, Mama. Thomas liebt mich. Thomas ist ein toller, zuverlässiger Mann. Ich werde ihn nie verlassen. Ich werde ihn nicht betrügen. Lass mich doch ab und zu träumen. Dann geht es doch wieder.
    Aber nur träumen, Wiebke.
    Versprochen, Mama.
    ***
     
    Sie war pünktlich um kurz nach sechs am Bahnhof Amsterdam Centraal. Sie hatte zwar kaum geschlafen, wirkte aber dennoch nicht übernächtigt. In ihrem Abdomen befanden sich sechsundneunzig Kondome mit Heroin. Sie war ein wandelnder Tresor. Sie kämpfte ein wenig mit dem Völlegefühl, einem Schluckauf und einem ganz leichten Brechreiz. Doch es ging von Mal zu Mal besser.
    Sie bestieg den ICE und setzte sich auf den für sie reservierten Platz in der ersten Klasse. Sie trug ein ausgesprochenes Business-Outfit. Einen dreiviertellangen dunkelblauen Rock mit einer schlichten, fast schon als langweilig, mindestens aber als unerotisch zu bezeichnenden Bluse. In ihrer Handtasche befanden sich neben ihrem Ticket und ihrem Pass auch Visitenkarten. Auf edlem, handgeschöpftem Papier war dort zu lesen: »Hansen Gastronomieholding GmbH & Co KG, Lydia Franke, Geschäftsführerin«.
    Sie war dezent geschminkt und roch nach teurem Parfüm. Hatte sie es mit ihren Anfang dreißig nicht schon weit gebracht? Sie fuhr erster Klasse, lebte erster Klasse. Und das ganz ohne Abitur und Studium. Sie konnte jeden Tag verreisen. Sie war mit sich und der Welt zufrieden. Im Augenblick störte sie allerdings, dass sie die »Vogue« lesen musste. Ein Magazin, dessen Inhalt sie, vorsichtig gesagt, nur äußerst bedingt interessierte.
    Doch bei dem Job, den sie zu erledigen hatte, kam es auf die Tarnung an. Auch die deutsche Polizei, die in fast jedem Zug von Holland nach Deutschland Beamte zum Aufspüren von Schmugglern hatte, wusste, wie einfach Drogen in Amsterdam zu beschaffen waren. Wie ein Magnet zog deshalb diese Stadt junge Menschen an. Aber auch die nun Vierzig- bis Fünfzigjährigen, manchmal richtige Omas und Opas, kamen in Scharen und ließen in romantischer Verklärung Woodstock und ihre wilde Zeit wieder aufleben. Menschen, die sich dort ihre Tickets kauften und den

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