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Kalte Fluten

Kalte Fluten

Titel: Kalte Fluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Westerhoff
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Gefühl, als ob sie ihren ganzen Körper peelen würde. Sorgfältig rieb sie sich mit Bodylotion ein. Die feine Parfümierung der Hautmilch legte sich wie ein sanfter Frühlingsduft in die Raumluft des kleinen innen liegenden Badezimmers ihrer Wohnung.
    Sie blickte in den Spiegel.
    Leichte dunkle Ränder unter den Augen verrieten, dass sie gestern zu viel getrunken und zu lange ihren erotischen Phantasien nachgehangen hatte. Leider allein. Aber das Ergebnis war das gleiche: Sie sah übernächtigt aus.
    Egal.
    Ein dezentes Make-up verlieh ihr ein frisches Aussehen und überdeckte leidlich die Spuren der vergangenen Nacht. Ja, sie war über vierzig. Aber immerhin eine Vierzigjährige, die einen Arzt zum Freund hatte. Leider dauerte die tägliche Renovierung mit zunehmendem Alter deutlich länger als mit neunundzwanzig. Auch bei Wiebke sanken die Pfähle in den Morast der Zeit. Langsam. Aber leider, leider doch merklich.
    Nach gut einer halben Stunde war sie geföhnt, deodoriert, parfümiert und dekoriert. Wiebke legte wenig Wert auf die Ordnung in ihrer Wohnung. Auch ihr Auto glich innen eher einem Müllabladeplatz. Das Chaos auf dem Schreibtisch in ihrem Büro war der einzige Anlass für Auseinandersetzungen mit Wolfgang. Doch ihr würde nie einfallen, ungeduscht und ungeschminkt das Haus zu verlassen. Sie streichelte Minka, öffnete eine Dose Katzenfutter und füllte den Wassernapf auf. Dann verließ sie ihre Wohnung.
    Sie kaufte in der Filiale einer Bäckereikette zehn frische knusprige Brötchen und fuhr dann zu Wolfgang. Es war wenig Verkehr an diesem Samstagmorgen. Bereits um kurz nach acht stand sie vor Wolfgangs Haus.
    Sie klingelte.
    Niemand öffnete.
    Sie drückte erneut auf den Klingelknopf.
    Er hatte doch Bereitschaft. Wo sollte er sonst sein?
    Wiebke klingelte Sturm. Die Tür blieb zu.
    Sie wählte seine Handynummer. Das Handy war zwar eingeschaltet, doch niemand nahm ab. Da vorn stand der Corolla. Er musste also da sein. Langsam begann sie, sich Sorgen zu machen.
    Sie ging zum Fenster, reckte sich ein wenig und klopfte.
    Endlich ging die Tür auf, und Wolfgang erschien im Rahmen. Es war ohne jede Übertreibung furcht- und angsterregend, wie er aussah. Sie selbst sah heute Morgen ja schon mitgenommen aus. Doch der Anblick, den Wolfgang bot, schockierte sie. Er hatte blutunterlaufene Augen, und sein Atem roch selbst auf die Entfernung so übel, dass er bei empfindsamen Charakteren Brechreize auslösen würde. Sein Haar war zerwühlt, sein Blick stumpf und ausdruckslos.
    »Wolfgang«, sagte sie atemlos, obwohl sie sich körperlich überhaupt nicht verausgabt hatte. »Was ist los? Was ist passiert? Ist was mit Lydia?«
    »Komm rein«, lallte Wolfgang mehr, als dass er sprach.
    Die Wohnungen von Ehepaaren, bei denen eine Seite gerade ausgezogen ist, verbreiten für sich bereits eine deprimierende Stimmung. Der flüchtende Teil nimmt in den meisten Fällen zwar sicherlich nur das mit, was ihm zusteht. Trotzdem. Zurück bleibt der Torso eines einst liebevoll zusammengetragenen gemeinsamen Heims. Helle Flecken an den Wänden, die die dort nicht mehr hängenden Bilder über die Jahre hinterlassen haben. Fehlende Dekorationen, auseinandergerissene Ensembles.
    Wiebke schluckte schwer. Wolfgang hatte zwar noch kein Wort darüber gesagt, aber das sich ihr bietende Bild war eindeutig. Caroline war weg.
    Sie ging auf Wolfgang zu, nahm ihn in den Arm und drückte ihn. Er begann hemmungslos zu weinen.
    Irgendwann löste er sich aus ihrer Umarmung. Wiebke sah einen gebrochenen Mann vor sich und wusste, dass die Zeit gekommen war, die Starke zu sein. Nun brauchte er ihre Hilfe, so wie sie vor vielen Jahren wie selbstverständlich seine in Anspruch genommen hatte. Sie hatte die Gelegenheit, es ihm zurückzuzahlen.
    »Wolfgang«, sagte sie brüsk. »Du duschst dich jetzt und ziehst dir was Sauberes an. Ich mache Frühstück. Wir haben nämlich heute Bereitschaft, oder hast du das vergessen?«
    Wolfgang nickte schuldbewusst wie ein beim Schummeln ertappter Pennäler und trollte sich in Richtung Badezimmer.
    Als Wiebke die Küche betrat, erschlug sie fast der Biergestank, der von den Pfützen am Boden ausging. Unter ihren Schuhen knirschten die Glassplitter. Auf dem Tisch erblickte sie weitere Reste des Alkoholexzesses, dem sich Wolfgang hingegeben hatte. Kopfschüttelnd öffnete sie das Fenster. Dann begann sie, das Chaos zu beseitigen und mit den Resten an Geschirr und Besteck, die Caroline dagelassen hatte, den

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