Kalte Fluten
verbringt er irgendwo auf der Welt. Aber er will wieder Kontakt mit mir. Ich freue mich ja so!«
Wiebke nickte, erhob sich und brühte Kaffee auf. Wenig später kam sie mit zwei dampfenden Bechern zurück. Sie schlürfte beim Trinken, um die Flüssigkeit ein wenig abzukühlen. Sie schaute Thomas an, sagte aber nichts.
»Du scheinst dich nicht richtig zu freuen«, sagte er enttäuscht.
»Du, ich kenne deinen Bruder überhaupt nicht. Aber ehrlich gesagt macht mir die Tatsache, dass er ein Doppelmörder ist, ein bisschen Angst. Trotzdem oder gerade weil es mein Beruf ist, Mörder zu fangen.«
»Bei Daniel war es aber doch etwas ganz anderes.«
»Sicher«, sagte Wiebke vorsichtig und versuchte nunmehr durch Pusten, eine einigermaßen trinkbare Temperatur des Kaffees zu erzielen. »Wann wird er kommen?«, wollte sie wissen.
»Das weiß er noch nicht. Außerdem erzählte er mir, dass er auf Gesellschaft wenig Wert legen würde. Er sei ein richtiger Eigenbrötler geworden. Aber irgendwann wird er mich besuchen kommen. Das hat er mir versprochen.«
»Hast du ihm auch von mir erzählt?«
»Natürlich. Er hat mir gratuliert.«
»Ich muss mir überlegen, ob ich ihn treffen will«, sagte Wiebke und wappnete sich innerlich. Ihre ehrliche, direkte Art hatte ihr schon viel Ärger eingebracht. Aber auch viele Dinge von vornherein geklärt.
»Das verstehe ich«, sagte Thomas. »Wir werden sehen. Kommt Zeit, kommt Rat.«
Danke, Mama, für diesen Mann.
Wiebkes auf dem Couchtisch liegendes Handy summte, und der Vibrationsalarm ließ das Gerät auf dem Tisch ganz leicht anfangen zu wandern. Sie nahm es und meldete sich. Eine Weile hörte sie interessiert zu.
»Danke«, sagte sie schließlich. »Gute Arbeit. Wir knöpfen ihn uns gleich morgen früh vor.«
»Wer war denn das?«, wollte Thomas wissen.
»Das Revier. Sie haben den Freund von Lydia in Gewahrsam genommen. Der hat sich mit Christof Lüerßen, diesem Drogendealer, ein Handgemenge geliefert. Deshalb haben die Kollegen die beiden erst einmal eingebuchtet. Bis morgen haben sie die zwei Nächte hinter schwedischen Gardinen sicher weichgekocht, sodass ich sie schön auspressen kann. Wolfgang will ich nicht dabeihaben. Er ist zu sehr involviert und viel zu angeschlagen. Apropos Wolfgang: Gibt es Neuigkeiten?«
»Ich habe in der Klinik angerufen«, sagte Thomas. »Er will da raus. Kann ich sogar verstehen, immerhin liegt er in einer Nervenheilanstalt. Was hältst du davon: Ich fahre ihn holen, und in einer Stunde frühstücken wir bei mir?« Wiebkes Wohnung war nur ein paar Gehminuten von seiner entfernt.
Sie schüttelte den Kopf, gähnte ganz undamenhaft und herzhaft. »Ich brauche noch eine Mütze Schlaf und verkrümle mich jetzt wieder in meine Federn. Wir können heute Nachmittag doch zusammen ein wenig spazieren gehen, wenn ihr wollt. Ich glaube, das täte uns allen gut.«
»Gerne«, sagte Thomas. »Wir holen dich um drei ab.«
Er stand auf und verließ die Wohnung. Wiebke ließ ihren Bademantel vor der Schlafzimmertür einfach auf den Boden fallen und genoss es, sich in ihre Kissen einzurollen, die noch nicht alles von ihrer Restwärme abgegeben hatten. Jedenfalls kam es ihr so vor.
Keine zehn Minuten später schlief sie wieder. Tief und fest. Als sie gegen halb eins erwachte, ärgerte sie sich, dass sie nur von Günter geträumt hatte. Wollüstige, feuchte Träume.
Ja, Mama, ich schäme mich, kam Wiebke der mütterlichen Ermahnung zuvor.
Ich meine ja auch nur.
Ist gut, Mama.
4
Wolfgang saß Fritjof Hansen im Verhörzimmer gegenüber. Sein trauriger Blick versprühte trotz des tiefen Schmerzes Hass und Wut. Hansen ertrug ihn mit stoischem Gleichmut. Er blickte gelassen auf seine goldene Rolex.
»In ein paar Minuten, Herr Hauptkommissar, wird mein Anwalt da sein. Dann können wir unmittelbar mit dem Verhör beginnen«, sagte er mit einer Stimme, die der ausgesuchten Höflichkeit genau die Verachtung beimischte, die sein Gegenüber immer mehr in Rage brachte.
Natürlich hatten Dr. Laufmann und er sich bereits unmittelbar nach seiner Verhaftung abgesprochen. Sie hatten eine Strategie ausgearbeitet, die gar nicht schiefgehen konnte. Fritjof hatte zwar vermutet, dass es ein Nachteil sein könnte, wenn der Vater der Toten ihn vernehmen würde. Sein Anwalt war aber ganz anderer Meinung gewesen. Auf seinen Rat hörte Fritjof immer. Er war damit bisher bestens gefahren.
Dann hatte Fritjof seinem Verteidiger den Brief für Belinda gegeben. Sie würde
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