Kalte Fluten
kooperieren. Belinda war käuflich.
Wiebke, Thomas und Günter hatten am Sonntagabend noch mit allen Mitteln zu verhindern versucht, dass Wolfgang selbst die Untersuchung leitete. Doch gegen sein Argument, er sei seiner einzigen Tochter die Aufklärung der Umstände ihres Todes schuldig, konnten sie nichts ausrichten. Wenigstens die Genugtuung, den Mörder seiner Tochter zur Strecke zu bringen, wenigstens das Gefühl, für sie nach ihrem Tode noch etwas getan zu haben, mussten sie ihm doch lassen. Das durften sie ihm nicht nehmen.
Die Vernehmung von Lüerßen vorhin war zudem gut gelaufen. Wolfgang war sachlich geblieben. Das lag aber wohl auch daran, dass Lüerßen eher zu den schüchternen, fast schon unterwürfigen Beschuldigten zählte. Er hatte Angst. Ob vor der Polizei und einer drohenden Strafe oder vor etwas anderem, das blieb sein Geheimnis.
Jedenfalls hatte Wolfgang ihn nach der Vernehmung als Verantwortlichen ausgeschlossen. »Bauchgefühl«, sagte er zu Wiebke. Sie hatte zugestimmt.
Wiebke und Günter beobachteten Hansens Vernehmung durch den venezianischen Spiegel, der nur von innen aussah wie ein Spiegel, von ihrer Position im Nebenraum aber einen genauen Einblick gewährte.
»Meinst du, er knackt ihn?«, fragte Günter.
»Glaube ich nicht«, erwiderte Wiebke. »Obwohl ich es Wolfgang gönnen würde. Aber dieser Hansen ist mit allen Wassern gewaschen. Die Kollegen von der Drogenabteilung vermuten schon seit Langem, dass er der Kopf des Rostocker Heroinhandels ist. Die haben ihn x-mal durch die Mangel gedreht und sich jedes Mal lächerlich gemacht. Die Kollegen fassen ihn inzwischen mit Samthandschuhen an. Sein Anwalt ist, wie sollte es anders sein, der beste und teuerste hier. Ich habe alle Ermittlungsakten gelesen. Es sieht nicht gut aus.«
Günter verstand. Auch er kannte Dr. Richard Laufmann. Der Mann war ein exzellenter und mit allen Wassern gewaschener Strafverteidiger. Er verlangte gesalzene Stundensätze, aber jeder seiner Mandanten war froh, diese Rechnungen begleichen zu dürfen. Günter wusste, dass selbst er Probleme hätte, gegen Laufmann anzukommen. Sowohl in juristischer Hinsicht als auch bezüglich der in Strafprozessen noch viel wichtigeren psychologischen Kompetenz konnten es nur wenige mit ihm aufnehmen. Der Anwalt spielte virtuos auf der Klaviatur der Beeinflussung. Von überzeugend wirkender devoter Akzeptanz gegenüber dem Gericht über die emotionslose Analyse der Fakten bis hin zur arroganten Überlegenheit, mit der er jeden noch so kleinen Fehler der Staatsanwaltschaft schonungslos aufdeckte und die dafür Verantwortlichen der Lächerlichkeit preisgab, reichte sein Repertoire.
Günter wusste aber noch viel sicherer, dass Wolfgang dem Anwalt noch viel weniger gewachsen sein dürfte als er selbst; unmittelbar nach Lydias Tod schon gleich zweimal nicht.
Sie sahen, wie sich die Tür zum Verhörzimmer öffnete und Dr. Laufmann den Raum betrat. Er beanspruchte seine Bühne. Es war sein Stück. Der Vorhang hob sich.
Der gut, aber nicht extravagant gekleidete Jurist begrüßte seinen Mandanten, ging aber dann sofort mit einer betroffenen Miene auf Wolfgang zu.
»Mein aufrichtiges Beileid zum Tode Ihrer Tochter«, sagte er. Seine Hand war so ostentativ zur Begrüßung vorgestreckt, dass Wolfgang gar nichts anderes übrig blieb, als sie zu ergreifen. »Niemand kann ermessen«, fuhr Laufmann nach einer Anstandssekunde fort, »wie Sie sich in diesem Augenblick fühlen müssen, und ich kann mehr als nur nachvollziehen, dass Sie Ihre ganze Energie, Ihre ganze Kraft einsetzen werden, um die Verbrecher zu fangen, die Ihrer Tochter das angetan haben. Bei allen beruflich bedingten Scharmützeln, die wir in der Vergangenheit hatten, glauben Sie mir: Ich täte genau das Gleiche. Das sage ich hier, das sage ich vor meinem Mandanten. Es ist mir wichtig, das festzustellen, bevor wir uns mit Ihren Anschuldigungen gegen Herrn Hansen näher befassen.«
»Eins zu null für den Winkeladvokaten«, raunte Günter Wiebke zu. »Der hat Wolfgang schon beim ›Guten Morgen‹ einmal eingeatmet und wieder ausgespuckt.«
Wiebke nickte betroffen.
Unaufgefordert nahm Laufmann neben Fritjof Hansen Platz, der seine zwei Nächte in Polizeigewahrsam erstaunlich gut verkraftet hatte. Er holte eine noch schmale Akte aus seiner Tasche, legte einen jungfräulich weißen Block vor sich hin und schraubte die Schutzkappe seines Füllfederhalters ab.
»Nun, Herr Hauptkommissar«, begann ausgerechnet Laufmann das
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