Kalte Fluten
Christof, der seine Lydia auf dem Gewissen hatte.
Nagende Ungewissheit.
***
Sie beobachteten sich argwöhnisch, trauten sich nicht mehr über den Weg. Fritjof war enttäuscht, dass sein alter Studienkollege Christof ihn betrogen, ihn schnöde bestohlen und um die Früchte seines Business gebracht hatte. Aber er brauchte ihn und seine Absatzkanäle. Dieses Wissen war Christofs Lebensversicherung. So dachte dieser jedenfalls.
Doch wie lange noch? Für Fritjof wäre es ein Leichtes, ihn irgendwann verschwinden zu lassen. Und es gäbe wenige, die viel Energie darauf verwendeten, ihn zu suchen. Am allerwenigsten die Polizei.
Christof wiederum brauchte Fritjof, damit sein Plan, sich selbstständig zu machen, nicht kläglich scheiterte. Was hatten die Russen, die ihn beliefern wollten, heute zu ihm gesagt? Nächste Woche bekäme er die erste Ware. Aber bis dahin müsse er die Versorgung sicherstellen. Damit der Vertrieb nicht kaputtginge. Er hatte es zugesagt. Und er wusste, dass es ungesund sein könnte, die Russen zu enttäuschen. Er brauchte noch ein Kilo. Ein mickriges Kilo hochreines Heroin würde reichen. Dieses eine Kilo musste Fritjof ihm noch beschaffen. Vor allem, weil er selbst den Stoff brauchte.
»Ich muss sagen, dass ich tief enttäuscht von dir bin«, begann Fritjof. Er saß in lässiger Freizeitkleidung auf seinem Sofa. »Warum hast du mich beschissen?«
»Es tut mir ja leid«, jammerte Christof devot. »Ich habe der Verführung nicht widerstehen können. Es war ein Fehler. Ein verdammter Fehler.«
»Das kann man wohl sagen.« Fritjof stand auf, ging zu seiner Bar und schenkte sich einen Whisky ein. »Auch einen?«, fragte er.
»Gerne.«
Sie stießen an. Doch ihre Blicke blieben kalt und berechnend. Wer brauchte wen? Christof war sich sicher, dass Fritjof ihn und seine Drücker brauchte. Das aber war eine Fehleinschätzung.
Fritjof hatte beschlossen, sich abzusetzen. Er wollte spurlos verschwinden. Unter anderem Namen, mit falschen Papieren plante er, ganz woanders neu anzufangen. Die Dokumente dafür lagerten längst in einem Safe einer Bank in Luxemburg. Er würde noch mal durchstarten. Wieder selbst dealen. Aber diesmal sauber. Diesmal mit Kokain.
Eine saubere Droge. Für eine saubere Gesellschaft. Keine Junkies mehr, sondern Schauspieler, Models, Ärzte und Anwälte. Keine Spritzen mehr, die sich die Menschen in einen durch unzählige Einstiche quasi schon durchlöcherten Körper jagten und danach unansprechbar, introvertiert, lustlos und weggetreten waren.
Die in teure Kleider gewandeten, gepflegten Menschen waren von nun an sein Ziel. Kunden mit goldenen Kreditkarten, die damit das weiße Pulver auf silbernen Tabletts zu zwei ordentlichen Linien zusammenschoben und durch aufgerollte Hundert-Euro-Scheine in die Nase zogen. Kunden, die danach witzig, unterhaltsam, charmant, erotisch und kreativ waren.
Diese Menschen wollten keinen abgehalfterten, offensichtlich heroinabhängigen Händler. Nein, Menschen mit ordentlicher Kleidung und angenehmen Umgangsformen waren gefragt. Dieser Markt verlangte Dealer, die in die feine Gesellschaft passten. In diesem Geschäftsmodell würde Christof ein Fremdkörper sein. Er war nicht nur ein Dieb, der für seinen Vertrauensbruch bezahlen musste. Er war eine Gefahr. Außerdem war er überflüssig. Ein Dinosaurier, der Vertreter einer vergangenen Epoche.
»Aber ich bin der Meinung, dass jeder eine zweite Chance verdient hat«, sagte Fritjof gönnerhaft.
Christof setzte ein erleichtertes Lächeln auf. »Danke«, sagte er. »Das vergesse ich dir nie.«
Du arrogantes, verlogenes Arschloch, dachte er. Wer wärst du schon, wenn ich nicht für dich die Drecksarbeit erledigt hätte? Wer hat denn die Teenies an die Nadel gebracht, damit sie ihn bald darauf förmlich anflehten, ihm ihr Geld aufdrängen zu dürfen? Hatte er ihm nicht die Taschen gefüllt?
Die Floskel »Das vergesse ich dir nie« war allerdings nicht einmal gelogen. Er würde es nicht vergessen. Du wirst dafür bezahlen, dachte Christof. Aber erst, wenn ich das eine Kilo habe.
»Ein bisschen Strafe muss jedoch sein. Bis der Schaden wiedergutgemacht ist, kriegst du nur die halbe Provision. Bist du einverstanden?«
»Natürlich. Das ist sehr großzügig von dir. Aber wir brauchen dringend neuen Stoff. Die Vorräte sind –«
»Ich weiß«, unterbrach Fritjof ihn unwirsch. »Ich habe deshalb über einen anderen Kontakt Ware organisiert. Die muss ich leider persönlich entgegennehmen, weil der
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