Kalte Fluten
standen Gläser mit Krimsekt.
»Warum wir uns mit diesem Junkie abgeben. Der Typ ist ganz schmieriger Abschaum. Warum hast du sein Angebot angenommen? Es wäre doch viel einfacher, wenn wir uns dieser kleinen Küchenschabe entledigen und unser eigenes Ding aufziehen.«
»Wir werden ihn schon noch loswerden. Aber ein Kilo Stoff ist nicht zu verachten.«
»Woher weißt du, dass da noch ein Kilo Stoff ist?«
»Informationen sind meine Lebensversicherung. Der Hansen will dem Lüerßen am Freitag ein Kilo Stoff bringen. Das lassen wir ihn noch holen. Er streckt es für uns, bevor er verschwindet. Wir haben den Stoff. Und einen Konkurrenten weniger.«
»Und der Hansen?«
»Der muss auch verschwinden.«
»Jetzt habe ich es verstanden, Chef!«
Sie lachten und tranken weiter.
***
In der muffigen Kneipe war nicht viel los. Einige Berufsarbeitslose, die sich lautstark der Lebenslüge hingaben, früher, zu DDR-Zeiten, sei alles besser gewesen, ertränkten ihren Frust in Radeberger.
Sie gehörten zu den Gestrandeten der Wiedervereinigung, zu denjenigen, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren und deren einziger Lebensinhalt darin bestand, irgendwie den Tag zu überleben, um sich am Abend durch Stammtischphrasen einzureden, dass das System schuld sei. Sie beschwerten sich lautstark.
Über die Kapitalisten.
Über die Parteien.
Über die Ausländer.
Über die ach so ungerechte Gesellschaft, die sie nicht brauchte und deshalb ausgrenzte. Das war in den Zeiten, die sie jetzt glorifizierten, allerdings auch nicht anders gewesen. Früher hatten sie zwar einen Arbeitsplatz gehabt, waren aber zum Wohle der Partei, des Staates und des Sozialismus ausgebeutet worden. Das, was sie jetzt als staatliche Wohlfahrt erhielten, ermöglichte ihnen heute sogar einen Lebensstil, der »damals« nur einflussreichen Bonzen vorbehalten war. In der DDR wären sie mit ihrem heutigen Einkommen ganz oben gewesen. Heute gab es jedoch andere, die viel mehr hatten. Deshalb war das, was früher »ganz oben« bedeutet hätte, heute eben nur noch ganz unten.
Auch damals hatten sie über die Gesellschaft geschimpft.
Über die Bonzen.
Über die Partei.
Über die Russen.
Sie waren unten. Damals wie heute. Nur die Relation hatte sich verschoben. Und das Ziel ihrer Schimpf- und Frustrationskanonaden.
Wiebke und Günter nahmen die Geräuschkulisse aus lauten Diskussionen und der aus Wandlautsprechern niederrieselnden undefinierbaren Musik hin. Sie bestellten zwei Radeberger und zwei Buletten. Manche nannten sie auch Frikadelle. Die bis zur Wende übliche Bezeichnung Grillette hatte aber ausgedient.
Günter biss herzhaft in die von einer Mikrowelle aufgewärmte, leicht muffig schmeckende Fleischmasse. Er spülte den Bissen mit einem Schluck Bier hinunter.
»Schrecklich, was der Wolfgang durchmachen muss«, sagte er.
»Ja, ich beobachte mit Sorge, wie er mehr und mehr abstürzt. Wenn Thomas ihn nicht bald auffängt, wird er ein richtiger Säufer.«
»Glaubst du, Thomas schafft das?«
»Wenn nicht er, wer dann?«, fragte Wiebke mit einem überraschten Blick. »Ist ja schließlich sein Job.«
Günter nickte und bestellte in einer Übersprungshandlung zwei weitere Bier. Dann überwand er sich und stellte die entscheidende Frage. »Bist du eigentlich glücklich?«
Wiebke spürte den Schmerz, den eine richtige Frage auslösen kann. Diesen Schmerz der Erkenntnis, die beklemmende Angst davor, dem anderen eine ehrliche Antwort geben zu müssen.
Dem anderen? Nein, sich selbst.
»Natürlich«, log sie. »Thomas trägt mich auf Händen. Ich habe in meinem biblischen Alter einen gut aussehenden, tollen, erfolgreichen Mann abbekommen. Er kümmert sich aufopferungsvoll um mich und meine Freunde. Was will man mehr?«
Günter nickte. Was bildete er sich auch ein? Was war er bloß für ein Schwein? Thomas Wiebke ausspannen zu wollen. Ihr das Glück zu nehmen, nach dem sie sich gesehnt hatte. Nein, dazu hatte er kein Recht. Von einer Sekunde auf die andere wurde ihm sonnenklar, dass Wiebke eine gute, vielleicht seine beste Freundin war. Nicht mehr. Niemals mehr.
»Das freut mich«, sagte er. Selten in seinem Leben war ihm ein Satz so schwergefallen. Er trank sein Glas aus und bestellte in der festen Absicht, dass es das letzte Bier des Tages sein würde, noch ein weiteres.
Doch dann stellte Wiebke eine Frage, die bei Günter genau den Schmerz auslöste, der sie einen Augenblick zuvor selbst gequält hatte.
»Warum bist du eigentlich solo? Du siehst
Weitere Kostenlose Bücher