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Kalte Fluten

Kalte Fluten

Titel: Kalte Fluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Westerhoff
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ich die Sache vertusche.«
    »Könntest du das denn?«
    »Wenn ich mir viel Mühe gebe, die Sache eng an mich binde, die eine oder andere Unterlage einfach ignoriere beziehungsweise vernichte, alle Augen zudrücke und niemand ein großes Interesse an einer Verurteilung des Täters hat, dann sicher. Zumindest kann ich aber aus dem Elefanten eine Mücke machen.«
    »Um wen handelt es sich denn?«
    »Ich glaube nicht, dass du ihn kennst. Es ist ein gewisser Kleinert. Johannes Kleinert. Ein Bauunternehmer.«
    »Du meinst doch wohl nicht den Kleinert? Den Baumogul? Den Liebling aller Parteibonzen und Bürgermeister?«
    »Doch, genau den. Und weil er der Liebling aller, wie du so schön sagst, Bonzen ist, wird man eine etwaige Vertuschung auch mit viel Wohlwollen verfolgen. Man wird es mir leicht machen.«
    Wiebke war natürlich nicht entgangen, dass Günter ihr nicht erzählt hatte, womit Kleinert ihn unter Druck setzte.
    »Warum machst du es dann nicht einfach?«
    »Weil es mich ankotzen würde, meine Ideale, meinen Beruf, alles, wofür ich stehe, zu verraten, weil …« Günter stockte.
    »Weil was?«, fragte Wiebke.
    »Weil mein Leben hier auf einer Lüge beruht.«
    »Dann fang mal mit deiner Beichte an«, sagte sie, lehnte sich zurück und war gespannt auf das, was kommen würde.
     
    1991, als Günter seinen Abschluss machte, war er mit seinen damals schon achtundzwanzig Jahren so etwas wie das Inventar der Vierer-WG, die er in Köln-Niehl bewohnte. Seit gut acht Jahren lebte er in einem der vier Zimmer der Altbauwohnung und teilte sich mit jeweils drei anderen Studenten Küche und Bad.
    1982 war er als Zwanzigjähriger hier eingezogen. Mit einem Abitur und dem Oberfähnrich der Reserve in der Tasche. Mit hochfliegenden Plänen für die Zukunft und einer Immatrikulationsbescheinigung für die juristische Fakultät als Schlüssel für eine angesehene Position in einer Kanzlei, in der Wirtschaft oder als Richter, Staatsanwalt oder Verwaltungsbeamter.
    1982. Wie lange war das her? Helmut Schmidt war als Bundeskanzler gerade von Helmut Kohl abgelöst worden, die DDR Ausland, und in den Radios spielte man »Neue Deutsche Welle«. Und er? Er hatte wie seine gleich alten Kommilitonen in einem Zimmer in einer WG gelebt.
    1990. Die DDR war Geschichte, Helmut Kohl auf dem Zenit seiner Macht, und ein gewisser Michael Jackson wurde zum Entertainer des Jahrzehnts gekürt. Und er? Er war immer noch in der WG mit den billigen Sperrholzmöbeln und den verblichenen Che-Guevara-, Anti-Atomkraft- und Make-Love-not-War-Postern.
    Günter hatte aufgehört zu zählen, wie viele Studenten in den Jahren in die übrigen drei Zimmer ein- und dann wieder ausgezogen waren. Es gab ein ständiges Kommen und Gehen in dieser per Definition vorübergehenden Zweckgemeinschaft. Dutzende tränenreiche Abschiede mit dem abschließenden Versprechen, bestimmt in Kontakt zu bleiben. Man hatte doch gemeinsam eine so tolle Zeit gehabt. Gerede.
    Aber jetzt drohte er endgültig zu scheitern. Beim ersten Staatsexamen hatte er im zweiten Anlauf Glück gehabt. Die Hausarbeit war ihm leidlich gelungen. In der Strafrechtsklausur hatte er sogar neun Punkte erreicht. Die Klausur im öffentlichen Recht war mit gerade »ausreichend« bewertet worden, sodass ihn die mit nur einem Punkt völlig verhauene Zivilrechtsklausur nicht den Hals kostete.
    Glück, das ihm beim entscheidenden zweiten Examen nicht beschieden schien. Er hatte zwar wieder wie verrückt gelernt. Doch die Nervosität schwebte über ihm wie eine drückende Last, die sich gnadenlos immer weiter senkte und während der Klausuren jegliches Wissen in Luft auflöste.
    Er fiel durch. Mit Pauken und Trompeten.
    Ein weiterer Versuch. Ein weiteres Jahr.
    Doch die Nervosität und die Angst nahmen in demselben Maße zu, in dem er seine Lernbemühungen steigerte. Die Versagensangst drohte ihm zum Verhängnis zu werden. Sie drohte nicht nur, sie wurde es. Der zweite Versuch war sogar noch schlechter als der erste.
    Dann musste er beim Minister einen Antrag stellen, ein devotes Betteln um die letzte Chance, dass acht Jahre des Lebens doch nicht völlig umsonst gewesen sein mochten. Acht Jahre, in denen andere schon eine Familie gegründet, eine Wohnung oder ein Haus gekauft und in Lebensversicherungen für die Altersvorsorge eingezahlt hatten.
    Er bekam die dritte Chance.
    Doch die Angst potenzierte sich weiter. Er hatte Panik, dass sein Scheitern nun endgültig dokumentiert werden könnte. Es wäre aktenkundig, dass

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