Kalte Fluten
stimmt’s?«
»Eigentlich wollte ich nicht«, sagte Randolf vieldeutig.
»Sie wird dich mit ihren ausdrucksvollen Augen angeschaut und ihre Lippen zu einem Kussmund geformt haben. Um dann zu sagen: Onkel, ich möchte es aber sooo gerne.«
»Woher weißt du das?«
»Ich könnte Wiebke auch nichts abschlagen. Nicht einmal, dass sie einen anderen heiraten will.«
»Das muss wahre Liebe sein.«
Günter zuckte mit den Schultern.
Sie betranken sich weiter. Er fragte sich, ob Randolf und er sich nun sinnlos betranken. Er kam zu dem Schluss, dass sie einen verdammt guten Grund hatten.
Gegen vier Uhr morgens wollte sich Randolf verabschieden, aber Günter hielt ihn zurück. »Nichts da, du schläfst hier. Autofahren in diesem Zustand ist verboten.«
»Verboten?« Randolf lächelte süffisant.
»Lass es mich anders ausdrücken: Ich will nicht, dass du dich im Suff um einen der vielen Alleebäume windest. Du schläfst hier. Aber mach dir keine Hoffnungen. Ich schlafe mit dem Hintern zur Wand.«
»Schade«, lallte Randolf.
***
»Du traust dich nicht«, sagte der dreizehnjährige Junge zu seinem gleichaltrigen Freund.
»Wetten, doch?«
»Dann lass uns reingehen.«
Sie standen vor dem Zaun, der rings um das weitläufige Areal verlief. Schilder des neuen Eigentümers warnten vor dem Betreten.
»Achtung! Einsturzgefahr! Betreten verboten!«
In der Ferne konnten sie die alten Hallen erkennen. Schaurig und hässlich standen die Betonbauten auf einem Hügel. Bis zur Wende waren hier Hunderte von Kühen Leib an Leib gemästet, gemolken und schließlich getötet worden.
»Mein Opa hat hier früher gearbeitet«, flüsterte der eine Junge. Er hätte nicht leise sprechen müssen. Die Gegend um den stillgelegten Mastbetrieb in der Nähe von Pampow war einsam. Außer dem Rauschen der Autos, die auf der B 321 fuhren, war weit und breit nichts zu hören.
Sie durchtrennten einige Drähte des Zauns mit einem Seitenschneider und zwängten sich durch das kleine Loch.
Sie schlichen sich durch das wuchernde Grün. Grau und bedrohlich erhob sich der Hallenkomplex vor ihnen. Ab und zu huschte ein Tier durch die sich langsam auf die unheimliche Umgebung wie ein schützender Mantel legende Dunkelheit. Die beiden Jungen schalteten ihre Taschenlampen an. Ihnen pochte das Herz bis zum Hals. Ihre Eltern hatten ihnen streng verboten, hierherzukommen. Genau das aber machte den Reiz aus.
Die Fenster waren nur noch bloße Löcher in den Wänden. Die Tore herausgerissen. Müll und Unrat lag überall herum. Es stank.
Der eine Junge stolperte und fiel der Länge nach hin. Er unterdrückte den Schmerz. Er wollte keinesfalls schreien. Eigentlich durfte niemand anders hier sein. Aber was wäre, wenn doch? Und was wäre, wenn derjenige sie hier erwischen würde?
Er rappelte sich wieder auf.
»Geht’s?«, flüsterte sein Freund.
Er japste nach Luft, nickte aber. »Ja, ja! Alles cool.«
Sie betraten eine der Hallen. Die Deckenverkleidungen waren lose und sahen aus, als würden sie bei der leisesten Berührung krachend herabstürzen und die Jungen unter sich begraben.
Was nicht niet- und nagelfest gewesen war, war bereits aus der Halle entfernt worden. Die Kegel ihrer Taschenlampen glitten über die gegossenen Tröge, aus denen die Tiere gefressen hatten. Die Exkremente waren einfach auf den Boden gefallen und einmal täglich weggespült worden. Es musste ein bestialischer Gestank geherrscht haben.
»Hier hat dein Opa gearbeitet?«, wunderte sich der eine Junge.
»Hat er mir erzählt«, bestätigte der andere.
»Was für ein Scheißjob.«
Sie gingen wieder nach draußen und entdeckten ein weiteres Gebäude. Von einem langen Gang zweigten rechts und links kleinere Räume ab.
»Was ist da gemacht worden?«, fragte der eine Junge.
»Keine Ahnung!«
»Ich denke, dein Opa hat hier gearbeitet.«
»Von diesen Räumen hat er aber nichts erzählt.«
»Komm, wir schauen nach!«
»Meinst du wirklich?« Seine Stimme zitterte.
»Sei kein Feigling.«
Vorsichtig gingen sie in den Gang und öffneten die erste Tür. Es war ein gekachelter Raum. Vermutlich hatte man hier die Tiere geschlachtet.
Sie gingen weiter. Auch die anderen Räume waren gekachelt. Aber außer Müll fanden sie nichts Aufregendes. Eine Ratte huschte vorbei.
»Komm, lass uns gehen«, meinte der eine. »Ist doch langweilig hier.«
»Schiss hast du!«
»Nein!«
»Doch!«
»Selber!«
»Los, die Tür noch«, schlug der Freund schließlich vor.
Gemeinsam öffneten sie die
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