Kalte Fluten
quietschende Eisentür.
Doch die Dunkelheit gab das Geheimnis des Raumes nicht frei. Nur ein Geruch wie von faulen Eiern oder vergammeltem Fisch schlug ihnen entgegen.
»Wahrscheinlich eine tote Ratte«, sagte einer der Jungen. Zitternd trat er ein. Seine Fußspitze berührte etwas Rundes. Es kullerte weg wie ein Ball.
Er leuchtete auf den Boden. Ein halb verwestes Gesicht starrte ihn an. Er schrie erbärmlich. Dann fiel er in Ohnmacht.
Sein Freund ließ hektisch den Leuchtkegel durch den Raum gleiten. Der Verwesungsgestank war kaum zu ertragen, und er übergab sich, blieb aber bei Bewusstsein. Er nahm sein Handy und rief die Polizei.
***
Wiebke hatte eigentlich schon Feierabend, als sie der Anruf ereilte. Es war ihr Chef.
»Wo soll ich hin?«, fragte sie erstaunt. »Nach Pampow bei Schwerin? Warum kümmern sich die Kollegen dort nicht um den Fall? Ich hab hier weiß Gott genug zu tun!«
»Ich weiß, Frau Kollegin«, antwortete Zielkow. »Aber bei den Opfern wurde ein Schild gefunden, und raten Sie mal, was darauf geschrieben steht!«
»Was denn?«, wollte sie leicht verärgert wissen.
»Bereue!«
Wiebke wurde es heiß und kalt zugleich. Sie musste sich setzen. Sollte alles umsonst gewesen sein? Sollte Hansens Tod doch kein Rachemord im Dealermilieu gewesen sein?
»Ich fahre sofort los«, sagte sie.
Sie brauchte für die Strecke nur gut fünfzig Minuten. Die Autobahn war inzwischen fertig, und sie kam gut voran.
»Mann, was für eine Sauerei«, entfuhr es ihr. Der Brechreiz quälte sie, als sie den von Beamten der Spurensicherung nur so wimmelnden Raum betrat.
»Ja«, sagte einer der Kollegen. »Da war jemand ziemlich wütend.«
»Was wissen Sie bis jetzt?«
»Zwei Opfer, ein Mann und eine Frau. Wie es aussieht, wurden sie mit Stromschlägen gequält.« Der Beamte deutete auf den linken von zwei nebeneinanderstehenden Kästen. »Hier drin befindet sich ein Relais, das an ein Notstromaggregat gekoppelt ist. Der Strom speiste einen Kondensator, der sich auflud und die Stromschläge abgab. Hier liegen überall Kabel rum mit Elektroden, die vermutlich auf die Haut der Opfer geklebt waren, als sie noch ganz waren. Also, die Opfer, meine ich.«
»Aber die Stromschläge waren vermutlich nicht tödlich«, stellte Wiebke sachlich fest.
»Das müssen Sie Dr. Streicher fragen. Aber wenn doch, dann wäre dieser zweite Apparat völlig überflüssig gewesen.«
Wiebke warf einen Blick in die graue Kiste. »Was sind das für Schaltungen?«
»Nach dem ersten Anschein – das muss im Labor natürlich noch genau analysiert werden – handelt es sich um Zeitschaltuhren, die mehrere Zündungen auslösten. Wegen der fünf Uhren gehe ich von fünf Explosionen aus. Die haben die Körper zerfetzt. Sehen Sie: Dort liegt eine Hand. Da ein Fuß. Die Köpfe sind abgerissen. Die Rippen liegen verstreut im Raum. Also wie gesagt: Da war jemand sehr, sehr böse auf die beiden hier.«
»Irgendein Hinweis auf die Identität der Opfer?«
»Nein. Keiner.«
Was sie nervös machte, waren das Schild mit dem Befehl »BEREUE«, die bestialische Art zu töten, die Abgeschiedenheit des Tatortes. Es gab eindeutige Parallelen zum Fall Hansen, obwohl dessen Mörder doch erwiesenermaßen der verschwundene Christoph Lüerßen war.
Doch was, wenn hier derselbe Täter seinen Rachefeldzug fortsetzte? Dann hätte sie nicht einen, sondern zwei ungelöste Mordfälle. Und Wolfgang würde nach nur wenigen Wochen der Ruhe wieder in den Kreis der Verdächtigen zurückkehren. Sie durfte gar nicht daran denken, welche Schlüsse auch die Presse ziehen würde, sobald sie Wind von diesem Doppelmord bekäme. Nein, das durfte nicht passieren. Die Journalisten durften kein einziges Foto machen. Sie musste Zielkow davon überzeugen, eine Nachrichtensperre zu verhängen. Um die Ermittlungen nicht zu gefährden, so könnten sie es begründen.
»Haltet bloß die Presse da raus«, rief sie den Kollegen zu und hörte im selben Moment eine Stimme in ihrem Rücken.
»Zu spät, Frau Sollich.« Schon klickten die Fotoapparate. Die Blitzlichter gingen wie ein Gewitter auf die Szene nieder. Wusste der Teufel, warum die Kollegen sie nicht am Betreten des Geländes gehindert hatten.
Während einige Einsatzkräfte die Reportermeute nur mit Mühe davon abhalten konnten, einfach den Raum zu stürmen und die letzten vielleicht noch vorhandenen Spuren zu zerstören, bahnte sich Herbert Streicher umständlich seinen Weg durch das Menschenknäuel.
»Ach du
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