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Kalte Fluten

Kalte Fluten

Titel: Kalte Fluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Westerhoff
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Whisky im Haus hat«, wich Wiebke vorsichtig aus. Thomas würde auf die Frage, ob er etwas trinken wolle, nie einen Whisky verlangen. Schon gar nicht einen großen. Mit wem war er denn da verwandt?
    Doch sie wusste, dass es eine Flasche Dimple gab. Eine noch jungfräuliche, die Thomas von irgendeinem Pharmareferenten als Kundengeschenk erhalten hatte. Sie holte die Flasche, goss einen Whisky, von dem sie annahm, dass die Menge als »groß« durchgehen würde, in ein Glas und gab sie dem sich bereits ungefragt auf dem Sofa flegelnden Mann.
    Mein Gott, wie unterschiedlich können Brüder sein!
    Gut, dass du den anderen abgekriegt hast.
    Ja, Mama, da kann ich dir nur zustimmen.
    Daniel setzte das Glas an und leerte es in einem Zug. »Du bist also die sagenumwobene Wiebke. Ich schlage vor, dass wir uns duzen. Ich werde ja immerhin dein Schwager.«
    »Ja«, stotterte sie. »Ich bin Wiebke.«
    »Ich heiße Daniel. Wo ist also Thomas?«
    »Er musste zu einem Notfall. Ich sollte Ihnen, äh, dir sagen, dass es zwei Stunden später wird. Du solltest warten. Hast du denn kein Handy?«
    »Wozu?«, fragte er. »Ich bin die meiste Zeit auf See, wo die Dinger sowieso nie funktionieren. Außerdem gibt es wenige Menschen, mit denen ich reden will oder die mit mir reden wollen.«
    Das kann ich mir vorstellen, dachte Wiebke.
    »Du magst mich nicht«, kam Daniel unmittelbar zur Sache.
    »Das kann man so nicht sagen«, wich sie aus. Sie transpirierte. »Ich habe nur Vorbehalte. Du weißt, dass ich Polizistin bin.«
    »Genau deshalb solltest du doch verstehen können, was ich damals getan habe.«
    »Thomas hat mir von euren Eltern berichtet. Ich kann diese Menschen nur verachten. Solche Verbrechen gehören bestraft, ohne Frage. Aber es geht zu weit, sie mit einem Baseballschläger zu erschlagen.«
    »Was haben denn Menschen wie meine Eltern deiner Meinung nach verdient?«
    Wiebke schnappte nach Luft. Daniel hatte sie an einem wunden Punkt erwischt. Sie zögerte.
    »Siehst du«, sagte er triumphierend. »Du weißt es nicht. Was passiert denn mit Eltern, die ihre Kinder missbrauchen, sie schlagen oder quälen? Drei, vier, vielleicht fünf Jahre kriegen sie. Dann laufen sie wieder frei rum. Die Kinder aber haben einen Schaden fürs Leben. Das habe ich verhindert. Meine Erzeuger laufen jedenfalls nicht mehr frei rum.«
    Du hast jedoch einen unübersehbaren Dachschaden, dachte sie bissig. »Ein Unrecht wird nicht dadurch beseitigt, dass man ein anderes begeht.« Sie kam sich unendlich altklug vor, als sie das sagte.
    Daniel überging diese Bemerkung und sagte völlig überraschend: »Aber ich bin dir nicht böse, dass du mich nicht magst. Ich mag dich nämlich auch nicht.«
    »Warum? Du kennst mich doch gar nicht«, entgegnete Wiebke.
    »Dir hat gereicht, was du von mir gehört hast. Mir reicht, was ich von dir gehört habe«, sagte er.
    »Und was hat Thomas so Schlimmes über mich erzählt?«, fragte sie unsicher.
    »Er ist völlig begeistert von dir. Aber ich lese zwischen den Zeilen. Du bist schlampig und ein Flittchen. So etwas passt nicht zu meinem Bruder. Er wird unglücklich werden, und das macht mich traurig. Ich kann es nicht verhindern, dass ihr heiratet. Aber ich will dir sagen: Du bist schuld daran, dass mein Bruder unglücklich wird, du Schlampe.«
    Wiebke sprang auf. »Raus hier«, brüllte sie. »Raus hier! Ich liebe Thomas, und er liebt mich. Ich lasse mich doch nicht von einem dahergelaufenen Doppelmörder beleidigen. Ich will dich nie wiedersehen. Solange ich hier bin – und ich verspreche dir, das wird sehr lange sein –, setzt du nie wieder einen Fuß in diese Wohnung. Raus!«
    »Schlampe!«, skandierte er erneut.
    Sie gab ihm eine schallende Ohrfeige. Er nahm sie stoisch hin, stand auf und verließ die Wohnung. Die Tür knallte ins Schloss.
    Sie weinte hemmungslos. Sie musste mit jemandem reden. Bilder von Günter zogen durch ihre Gedanken. Doch sie widerstand. Wenn sie ihn jetzt anrufen und sich mit ihm treffen würde, würde es passieren. Sie würden sich lieben. Es wäre zwangsläufig. Das wollte sie aber vermeiden. Sie lebte doch mit Thomas zusammen. Bald würden sie heiraten. Sie würde sich nicht durch einen halb verrückten Bruder und dessen hirnverbrannte Meinung von ihrem Weg abbringen lassen. Außerdem: Würde sie jetzt zu Günter gehen, gäbe sie Daniel recht. Schlampe? Nein, diesen Sieg gönnte sie ihm nicht.
    Sie war immer noch aufgewühlt, als Thomas zurückkam.
    Er nahm sie in den Arm. »Ich weiß«,

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