Kalte Fluten
später nicht minder grausam gestorbenen Eltern diskutiert worden war.
Besonders hervorgetan hatte sich einer, der sich »Hunter_Vier« nannte. Mit Liebe zum Detail beschrieb dieser Mann, welche Höllenqualen solche Menschen verdient hätten. Mit Hilfe der Computerexperten des Landeskriminalamtes war es Wiebke gelungen, die Person hinter dem Pseudonym zu identifizieren. Es war Ottmar Kiesewetter. Das Beste an dieser Entdeckung war, dass Kiesewetter in Wismar lebte.
Günter, du bist ein Genie.
Er hatte bei seiner Verhaftung keinen Widerstand geleistet. Nun saß er Wiebke und Stefan Conrad gegenüber. Conrad war Staatsanwalt und leitete den Mordfall.
»Ich will gleich zur Sache kommen«, sagte Wiebke. »Wir verdächtigen Sie, am 24. Mai das Ehepaar Adamchewski gequält und dann getötet zu haben.«
Kiesewetter, der von Nachbarn als komischer Sonderling beschrieben worden war, dem man alles zutrauen könnte, saß teilnahmslos im Verhörraum. Er war gelernter Elektriker und bei der Bundeswehr bis zum Stabsunteroffizier aufgestiegen.
»Haben Sie für den 24. Mai ein Alibi?«, fragte sie.
»Sie wollen wissen, wo ich war? Keine Ahnung. Wahrscheinlich zu Hause.«
»Gibt es Zeugen?«
»Ich mag keine Menschen. Ich will auch keine um mich haben.«
»Herr Kiesewetter. Sie haben im Internet geschrieben, dass Menschen wie die Adamchewskis kein Recht hätten zu leben.«
Kiesewetter nickte heftig. Richtig aufgeregt war er auf einmal.
»Das stimmt ja auch.«
Wiebke und Conrad schauten sich bedeutungsschwer an.
»Ferner sind Sie Elektriker von Beruf und haben Kenntnis über die Anwendung von Sprengstoff?«, fragte sie.
»Ja. Das haben die mir beim Bund beigebracht.«
Nun versuchte sie, einen sanften Ton in ihre Stimme zu bringen. Sie probierte einen alten, aber immer wieder erfolgreichen Verhörtrick. Sie spielte die Verständnisvolle.
»Ich kann Sie ja verstehen. Ich habe in dem Fall zusammen mit meinem Kollegen selbst ermittelt. Da kann einem schon die Hutschnur hochgehen, wenn man sieht, was diese Menschen ihrem Kind angetan haben, und sie dann weiter frei herumlaufen dürfen.«
»Nicht wahr?« Kiesewetters Miene hellte sich wieder auf. »Die haben den Tod verdient. Ich freue mich, dass Sie das auch so sehen.«
»Und weil diese grausamen Menschen den Tod verdient haben, haben Sie es auf sich genommen, das Gerechte zu tun, hab ich recht?«
Zur Überraschung des Staatsanwaltes und vor allem auch Wiebkes nickte Kiesewetter.
»Ja, es stimmt. Ich war es. Ich habe es angekündigt und dann getan. Zwar hatte ich nicht gedacht, dass man mich kriegt. Aber ich bereue nichts. Das müssen die anderen tun.«
»Wie meinen Sie das?«, fragten Conrad und Wiebke fast gleichzeitig.
»Ich habe auch die Drogendealer umgebracht«, sagte er.
»Welche Dealer?«
»Na, diesen Hansen und den Lüerßen. Hansen habe ich vergraben. Er litt bestimmt Höllenqualen in seinem Sarg.«
»Erzählen Sie mal!«, forderte Wiebke ihn auf.
»Ich habe ihm aufgelauert, ihn überwältigt und dann am Brooksee lebendig eingegraben. Mit Licht und Gegensprechanlage.« Kiesewetter berichtete noch weitere Einzelheiten. Wiebke hörte interessiert zu. Es war ihr aber zu simpel. Die Informationen zum Tathergang waren zwar detailliert, aber auch nicht mehr, als in den Tageszeitungen stand.
»Und was ist mit dem anderen?«, fragte sie dann.
Kiesewetter zögerte kurz. Dann sagte er: »Den habe ich mit Benzin übergossen und verbrannt. Die Reste sind irgendwo in der Ostsee.«
»Wo haben Sie ihn verbrannt?«
Wieder zögerte Kiesewetter kurz. Dann erzählte er etwas von einem aufgelassenen Betriebsgelände. Das konnte stimmen, aber auch seiner Phantasie entsprungen sein.
Zufrieden stand Conrad auf und bedeutete Wiebke, ihn kurz nach draußen zu begleiten.
»Gratulation, Frau Sollich«, sagte er. »Keine zwei Wochen nach dem Fund haben Sie den Täter. Und die Lösung für zwei andere Morde als Zugabe.«
»Meinen Sie, das reicht?«, fragte Wiebke unsicher. »Unsere paar Indizien und dieses Geständnis?«
»Was wollen Sie denn noch?«
»Ich weiß auch nicht. So richtig überzeugt bin ich nicht.«
»Wollen Sie ihn etwa wieder laufen lassen? Dann können Sie sich ja gleich die Kugel geben. Nein, glauben Sie mir. Es passt alles. Ein Sonderling, der sich mit Elektrik und Sprengmitteln auskennt, öffentlich einen Racheakt ankündigt und in der Vernehmung ein Geständnis abliefert. Es stellt sich nur die Frage, ob wir ihn lebenslang ins Gefängnis stecken oder
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