Kalte Freundschaft
Urlauber dort.«
Nadine erschrickt. Ihre Eltern sind gerade mit dem Wohnmobil in der Türkei unterwegs. Sie hat schon mehrere Tage nichts mehr von ihnen gehört.
Kaum dass die Besprechung zu Ende ist, ruft sie sie auf dem Handy an. Zu ihrer großen Erleichterung nimmt ihr Vater sofort ab.
»Hier van Mourik.«
»Paps, ich bin’s. Ich hab gerade von dem Erdbeben gehört. Ist bei euch alles in Ordnung?«
»Mach dir keine Sorgen, Liebes. Wir waren weit weg vom Epizentrum. Das Beben haben wir zwar bemerkt, aber uns fehlt nichts.«
Es tut Nadine unendlich gut, seine vertraute Stimme zu hören.
»Gott sei Dank. Wo seid ihr gerade?«
»Knapp vor der Grenze, wir fahren jetzt langsam wieder in Richtung Heimat.«
»Schön, ich bin ja so froh, dass ihr kommt!«
»Das wird noch eine Weile dauern, wir haben es nicht eilig. Geht’s dir gut? Und Marielle auch?«
»Ja, alles in bester Ordnung. Ich bin in der Redaktion und kann deshalb nicht lange reden. Eigentlich wollte ich nur wissen, wie es euch geht.«
»Gut, mach dir keine Sorgen. Deine Mutter lässt dich grüßen. Tschüs dann, Liebes, und weiterhin frohes Schaffen.«
Nadine beendet das Telefonat und sieht, dass Arnout neben ihr steht.
»Alles okay?«, fragt er.
»Ja, zum Glück! Meine Eltern sind in der Türkei, aber es geht ihnen gut.«
»Fein, dann kannst du ja heute Nacht ruhig schlafen.« Er legt ihr freundschaftlich die Hand auf die Schulter.
Nadine lächelt ihm zu und geht zu ihrem Schreibtisch. Von all ihren Kollegen findet sie Arnout am nettesten. Er ist stets freundlich und gut gelaunt. Sie weiß jedoch, dass die scheinbare Gelassenheit nicht seinen tatsächlichen Gemütszustand wiedergibt. Er hat zwei Scheidungen hinter sich, und beide Male war er derjenige, der betrogen und verlassen wurde. Es fällt ihm nicht leicht, damit zurechtzukommen.
Auch Nadine hat nach Christiaans Tod lange gelitten, und so etwas verbindet.
Sie setzt sich und ruft ihre Mails ab: noch nichts von Eelco. Leicht enttäuscht wendet sie sich wieder ihrer Arbeit zu.
Am frühen Nachmittag muss sie zu einem Interview mit einer Leidener Geigerin, die einen Musikwettbewerb gewonnen hat. Und danach zum Leiter einer am Theater gastierenden Tanztruppe.
Gegen halb fünf ist sie wieder in der Redaktion und ruft erneut ihre Mails ab. Das Postfach füllt sich rasch. Wie magisch wird ihr Blick von Eelcos Absender angezogen:
Hallo Nadine,
ich habe Dein Manuskript gelesen. Wollen wir heute Abend eine Kleinigkeit zusammen essen und das Ganze besprechen? Ich habe in Leiden zu tun und könnte Dich gegen acht von der Arbeit abholen.
Freundliche Grüße
Eelco
9
Ungläubig starrt Nadine auf den Monitor. Eelco will mit ihr essen gehen! Weil es sich gerade anbietet, oder gibt es womöglich etwas zu feiern?
In nervöser Erwartung mailt sie mit zitternden Fingern zurück: Fein! Bis um acht vor der Redaktion!
Bis zum Feierabend bringt sie nichts Vernünftiges mehr zustande. Sie holt Kaffee, rennt aufs Klo, geht ins Freie, um ganz gegen ihre Gewohnheit eine Zigarette zu rauchen, und muss dann wieder aufs Klo.
Punkt acht steht sie frisch geschminkt und erwartungsvoll vor dem Gebäude des Leidsch Dagblad.
Ein Stück weiter sieht sie Eelco aus seinem Auto steigen. Er winkt, und sie eilt auf ihn zu. Unsicher bleibt sie vor ihm stehen, doch er begrüßt sie wie selbstverständlich mit einem Wangenkuss.
»Na, fleißig gearbeitet?«
»Ja, heute war viel los. Bei dir auch?«
»Ziemlich. Ich habe fast den ganzen Tag am Schreibtisch gesessen.«
»Dann hat du sicherlich nichts gegen einen kleinen Spaziergang, oder? Das Restaurant, das ich dir
gern zeigen würde, ist ein Stück von hier entfernt«, sagt Nadine.
»Ein bisschen Bewegung kann nicht schaden, im Gegenteil!«
Eelco schließt sein Auto ab, sie überqueren die Langegracht und schlendern in Richtung Altstadt.
»Du hattest hier in Leiden zu tun?«, fragt Nadine.
»Ja, und da dachte ich, das lässt sich doch prima mit einem gemeinsamen Essen kombinieren.«
»Gute Idee.« Richtig entspannt ist Nadine noch nicht, doch als Eelco sie anlächelt und ihr auch noch zuzwinkert, weicht die Anspannung, und sie muss sich zusammennehmen, um nicht noch näher an ihn heranzurücken.
Nach einer Viertelstunde haben sie die Pieterskerk erreicht.
»Schön ist es hier!« Eelco sieht sich um.
»Ja, es ist eine der hübschesten Ecken der Stadt. Ich lebe gern hier«, sagt Nadine. »Ich mag die Atmosphäre mit den mittelalterlichen Häusern und
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