Kalte Freundschaft
Genugtuung, ihr eines mit dem Pflasterstein überzuziehen. Eine ebensolche Genugtuung wird mir mein nächster Schritt verschaffen.
Ich bin seit einiger Zeit im Schützenverein. Alle zwei bis drei Wochen bin ich zum Üben auf dem Schießplatz und kann dabei nicht zuletzt Frustrationen abbauen. Als Vereinsmitglied darf ich eine Waffe besitzen. Es würde mir nie in den Sinn kommen, mit meiner Smith & Wesson jemanden umzulegen, aber als Drohmittel wird sie mir gute Dienste leisten.
Ich beobachte ihn schon eine ganze Weile und registriere, wie er Nadine immer mehr für sich einnimmt, sich ihr regelrecht aufdrängt. Für mich hat sie nur noch selten Zeit. Aber ich gebe nicht auf - Konkurrenz kann man schließlich ausschalten.
Und genau das habe ich mir für heute Abend vorgenommen.
Das Navigationssystem meines Autos führt mich zuverlässig in eine gediegene Amsterdamer Wohngegend.
Wie erwartet, ist er noch nicht zu Hause. Ich stelle
das Auto in einiger Entfernung ab und gehe zu Fuß bis zum Nachbarhaus.
Allmählich wird es dunkel, ein Vorteil für mich. Am liebsten würde ich jetzt eine Zigarette rauchen, aber die Glut könnte mich verraten. Ich lehne mich an die Fassade und behalte die Straße im Auge. In der Dunkelheit wirken die hell erleuchteten Wohnzimmer wie Bühnen, auf denen Familienleben inszeniert wird. Nur wenige Leute schließen abends die Vorhänge, das wundert mich immer wieder.
Kurz vor zehn biegt das Auto, auf das ich warte, in die Straße ein und wird in eine Parklücke rangiert.
Ich presse mich an die Hauswand, greife in die Jackentasche und schließe die Hand um den Griff der Pistole.
Vollkommen ahnungslos steigt er aus und geht zur Haustür. Ich löse mich aus dem Schatten des Nachbarhauses.
Noch ehe er merkt, dass jemand hinter ihm ist, hat er den Pistolenlauf im Genick.
»He … was soll das?« Verdattert will er sich umdrehen, lässt es aber, als ich den Druck verstärke.
»Wenn Sie sich bewegen, schieße ich!« Zwei Schachteln Zigaretten am Vortag haben meine Stimme heiser gemacht. Und hoffentlich unkenntlich.
Er rührt sich nicht, steht mit hängenden Armen da.
»Ich will etwas ganz Bestimmtes von Ihnen«, flüstere ich ihm zu.
»Der Hausschüssel ist in meiner Jackentasche, die Autoschlüssel auch. Nehmen Sie, was Sie wollen, ich setze mich nicht zur Wehr«, sagt er gepresst.
»Mund halten und zuhören!« Ich drücke den Pistolenlauf fester in sein Genick. »Jetzt den Schlüssel ins Schloss stecken, aber nicht umdrehen.«
Er gehorcht.
»Ich will, dass Sie sich von Nadine fernhalten!« Stille.
»Nadine?«, wiederholt er dümmlich.
»Genau, Sie sind ja wohl nicht taub! Ich will, dass Sie Schluss mit ihr machen. Und ich werde Sie weiterhin beobachten. Wenn Sie zur Polizei gehen oder sich nicht von ihr trennen, treffen die Folgen nicht nur Sie, sondern auch Nadine. Dann knalle ich euch beide ab, kapiert?«
Er nickt langsam.
»Gut. Und seien Sie versichert, ich meine es ernst! Ich gehe jetzt langsam rückwärts. Sie bleiben stehen und zählen bis hundert, danach können Sie ins Haus. Wenn Sie sich eher umdrehen, schieße ich, klar?«
Wieder nickt er.
»Okay. Jetzt zählen!«
»Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs …«
Ich nehme die Pistole weg und gehe rückwärts, die Waffe weiterhin auf ihn gerichtet.
Bei vierzig bin ich an meinem Auto. Vermutlich zählt er brav weiter, denn als ich losfahre und dabei in den Rückspiegel schaue, ist die Straße menschenleer.
28
Er ist noch nicht da. Eelco hatte fest versprochen, zu ihrem ersten öffentlichen Auftritt zu kommen. Gleich ist es so weit, und er ist nirgendwo zu sehen.
Langsam geht Nadine auf den Tisch mit dem Mikrofon zu und sieht sich dabei noch einmal gründlich um. Ihre Nerven liegen blank - Eelcos Unterstützung könnte sie jetzt nur zu gut gebrauchen.
Aus dem Lautsprecher erklingt die Ankündigung, die Schriftstellerin Nadine van Mourik werde nun aus ihrem Thriller Narben vorlesen.
Immerhin ist Cynthia gekommen und nickt ihr aufmunternd zu.
Nadine setzt sich, stellt das Mikrofon an und begrüßt ihre Zuhörer. Es sind drei Leute: zwei Frauen und ein Mann.
Mit einem Scherz über den »massenhaften Andrang« geht sie darüber hinweg und beginnt zu lesen.
Nach kaum zwei Minuten wird sie von einer Durchsage unterbrochen: »In der dritten Etage sind heute sämtliche Badetücher auf acht Euro reduziert. Ein Supersonderangebot, greifen Sie zu!«
Nadine wartet einen Moment und liest dann weiter. Aus den
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