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Kalte Haut

Kalte Haut

Titel: Kalte Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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Gesing am Holocaust-Denkmal in die Behrenstraße nach links bog, Richtung Alexanderplatz, setzte Musik von U2 ein. City of Blinding Lights.
    Muth drehte leiser. »Sie mögen klassische Musik?«
    »Mögen trifft es nicht ganz«, antwortete Robert. »Ich liebe sie. Und mein Bruder spielt sie.«
    »In der Deutschen Oper?«
    »Ja.«
    »Warum fragen Sie nicht Ihren Bruder, ob er Ihnen die Karte besorgen kann?«
    »Ich würde Max mit meinem Besuch gerne überraschen. Er hat lange auf dieses Engagement hingearbeitet. Eigentlich seit seiner Kindheit. Wenn Sie so wollen, hat er sich seinen Kindheitstraum erfüllt.«
    »Das ist … toll.«
    »Mögen Sie Klassik?«, fragte Robert.
    »Ganz ehrlich? Nein.« Die Polizistin schmunzelte. »Sehe ich so aus?«
    Stimmt, wenigstens das habe ich gemerkt. »Ist nicht jedermanns Geschmack.«
    Aus dem Radio krächzte jetzt Robbie Williams. And I got raped down a layline. Got a day. What a day.
    Robert rutschte tiefer in den Rücksitz und beobachtete, wie die alten DDR-Bauten, die mit ihrem stalinistischen Zuckerbäckerstil die Frankfurter Allee säumten, an ihm vorbeizogen. Er gähnte.
    »Immer noch nicht besser?«, fragte Muth. »Der Jetlag?«
    Nein, ich bin müde, ich bin ausgelaugt, und außerdem ist mir schlecht. Aber war das der Grund, weshalb ihm Fehler unterliefen? Oder war es vielleicht mehr als nur Erschöpfung? Nein, das ist Blödsinn!
    Eine leise Stimme wisperte in seinem Hinterkopf: Und wem versuchst du etwas vorzumachen? »Waren Sie es nicht, die mir erklärt hat, es würde drei Wochen dauern?«
    Die Kommissarin schenkte ihm ein bedauerndes Lächeln. »Wir bringen Sie nach Hause. Legen Sie sich schlafen.«
    »Und was ist mit Herzberg?«
    »Wir lassen seine Wohnung überwachen.«
    »Und seiner Frau?«
    »Wie gesagt, wir werden noch einmal mit ihr reden. Bis dahin … Oder meinen Sie, wir sollten sie unter Schutz stellen? Wie schätzen Sie die Lage ein?«
    »Ich habe ihr geraten, bei einer Freundin zu übernachten. Oder bei ihrem Freund.«
    »Demnach ist sie in Sicherheit?«
    »Fürs Erste, ja«, sagte Robert.
    In der Weichselstraße dankte er den beiden Polizisten fürs Heimbringen und verließ den Wagen. Weil aus der Nachbarwohnung ausnahmsweise kein Fernsehlärm schallte und gerade auch keine Straßenbahn vorbeirumpelte, hörte er das Telefonläuten in seiner Praxis bereits, als er das Haus betrat.
    Er hastete in die Wohnung. Kaum dass er den Telefonhörer in der Hand hielt, erstarb das Klingeln. Der Anrufer hatte aufgelegt. Auch gut. Eine Nachricht war nicht hinterlassen worden. Aber wie denn auch? Die Anzeige des Anrufbeantworters blinkte noch immer: Speicher voll. Robert hatte bisher nicht die Zeit gefunden, ihn abzuhören. Wie wichtig sind schon vier Jahre alte Nachrichten? Er löschte den Speicher mit einem Klick.
    »Jawohl, so ist’s richtig: Weg mit der Vergangenheit!«, lobte Max.

74
    Im Ernie & Bert herrschte an diesem Abend nur mäßiger Betrieb. Dennoch wählte Sera den kleinen Tisch in der hinteren Ecke, der von den meisten Gästen gemieden wurde – von den Touristen, weil der Tresen die Schaufenstersicht auf die Gaukler, Feuerspucker und aufgebrezelten Huren am Hackeschen Markt versperrte, von Berlinern, weil er das Mitte-typische Gebaren vom Sehen und Gesehenwerden aufs Gröbste vereitelte.
    Sera jedoch mochte den Platz, weil er sie vor den Blicken anderer Gäste schützte.
    »Na, was darf’s sein?« Gerry kam hinterm Tresen hervor und beugte sich zu einem Kuss hinab. »Zwei doppelte Orgasmen mit einem …«
    »Gerry, bitte nicht hier!« Rasch wandte sie den Kopf ab. Er ließ sich die Enttäuschung nicht anmerken. »Einen Milchkaffee wie immer?«
    »Ja, danke.«
    Das Ernie & Bert war ein perfektes Abbild von Gerrys Persönlichkeit. Wie er selbst hatte auch die Kneipe unzählige, immer wieder neu zu entdeckende Details. Die Regale waren vollgestopft mit Souvenirs von seinen Reisen rund um die Welt. Manche hielten die Kneipe deshalb für stillos. Anderen, vor allem den Berlinern, gefiel der Stilmix, weil er so kunterbunt war wie ihre Stadt. Oder wie Gerry.
    »Sehen wir uns heute?«, flüsterte Sera, als er den Kaffee brachte.
    »Wir sehen uns doch gerade.«
    »Blödmann!«
    »Oha, entnehme ich deinen Worten etwa Sehnsucht?«
    Sera vermied es, ihn anzuschauen. Gerry folgte ihrem Blick. Tony, der Barkeeper, lehnte gelangweilt am Tresen und wartete auf neue Bestellungen der wenigen Gäste. Aus den Lautsprecherboxen tönte Tom Jones. I just need your body,

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