Kalte Haut
aber …« Tania wehrte sich gegen die Angst, die Besitz von ihr zu ergreifen drohte. »Na gut. Ich komme vorbei und warte, bis du gegessen hast. Dann gehen wir aber, ja?«
Sie legte auf, bevor er Einspruch erheben konnte. Sie lotste den Taxifahrer zu der Eckkneipe am Spreewaldplatz, direkt gegenüber vom Görlitzer Park, die in ihrer Kreuzberger Stillosigkeit faszinierend war – zünftig und neomodern nicht nur das Ambiente, auch die Musik, die aus Lautsprechern plärrte. Watch That Man, warnte David Bowie, als Tania eintrat.
Hagen saß an einem kleinen Tisch am Fenster, einen Block vor sich aufgeschlagen, das halbe Papier mit Notizen vollgekritzelt. Tania küsste ihn und ließ sich auf den Stuhl fallen.
»Was ist passiert?«, fragte Hagen.
»Wie kommst du auf die Idee, es sei etwas passiert?«
Er strich ihr durchs Haar. »Weil man dir das ansieht.«
»Noch so ein Charmeur.«
»Wer denn noch?«
Sie winkte ab. Die Strähne fiel ihr in die Augen. Sie wischte sie beiseite.
Die Kellnerin servierte einen Putenburger mit Pommes, Hagens Lieblingsspeise in der Morena. Tania bestellte ein Glas Wasser und klaute zwei der knusprigen Fritten vom Teller, aber Hunger mochte sich trotzdem nicht einstellen. Hagen machte sich mit umso mehr Appetit über den Burger her. Geradezu kunstfertig presste er ihn sich zwischen die Zähne.
Aus den Lautsprechern rappten die Beastie Boys. She knows what she ’ s talking about. And for a moment I know. What it was all about.
»Robert ist zurück«, sagte Tania. »Er war heute in der Redaktion.«
Hagen kaute und nickte zugleich, als überraschte ihn die Information nicht.
»Er arbeitet wieder für die Polizei. Und er hält es für möglich, dass Ralf Frank Lahnstein ermordet hat.«
Hagen verschluckte sich. »Dass was?« Er hustete und ließ den Burger mit hochrotem Gesicht auf den Teller zurückplumpsen. »Dein Mann hat Lahnstein ermordet?«
Zum Glück wandte sich keiner der neben ihnen sitzenden Gäste um.
»Langsam«, beschwichtigte Tania. »Robert hält es für möglich. Sicher ist er sich nicht.«
»Ich dachte, es war eine politische Tat?«
»Die Polizei muss jedem Hinweis nachgehen.«
»Und welcher Hinweis führt ausgerechnet zu deinem … Nein, stopp, ich kann’s mir denken.«
Schön. Denn Tania verspürte wenig Lust, noch einmal alles zu erklären.
»Und du?«, wollte Hagen wissen. »Was denkst du?«
Tania hatte sich den Kopf darüber zerbrochen, seit sie in das Taxi gestiegen war, ohne jedoch zu einem Ergebnis zu gelangen.
»Also ja«, grummelte Hagen, »du traust es ihm zumindest zu.«
»Aber selbst wenn, darum geht es doch nicht.«
»Sondern?«
Sie rieb sich den Nacken, weil die Kopfschmerzen einfach nicht nachlassen wollten. Die Kellnerin servierte ihr das Glas Wasser, Tania leerte es in einem Zug. »Isst du deinen Burger nicht mehr?«
»Was soll das denn jetzt?«, wunderte sich ihr Freund.
»Ja oder nein?«
Er schob den Teller beiseite. »Nein, mir ist der Appetit vergangen.«
»Können wir dann jetzt bitte gehen?«
Zähneknirschend beglich Hagen die Rechnung. Tania hakte sich bei ihm unter, und sie schlenderten schweigend die zwei Blöcke bis zur Liegnitzer Straße.
Dort hauste Hagen seit Jahren in einer kleinen Einzimmerwohnung, seiner ehemaligen Studentenbude, obwohl er sich nach seinem Erfolg mit Das Opfer durchaus eine größere, geräumigere Bleibe hätte leisten können. Irgendwie hatte er diesen Schritt nie gewagt, aus Angst vor schlechten Zeiten, wie er zu betonen pflegte, und weil seine Nachfolgekrimis sich nur noch mäßig verkauften.
»Also ich halte es für möglich«, begann er, nachdem sie ihre Jacken abgelegt und sich auf der Couch niedergelassen hatten. »Dein Ehemann …«
»Er mag ein Arschloch sein, aber er hat keinen Grund, Frank Lahnstein umzubringen! Robert hat heute Mittag erklärt, die Polizei geht davon aus, dass der Täter …«
»Ralf!«
»… wieder töten wird.« Sie schüttelte abwehrend den Kopf. »Wenn es Ralf ist.«
»Du zweifelst daran?«
»Ich sagte doch, das ergäbe überhaupt keinen Sinn.« Sie kramte die Schachtel Luckys aus der Handtasche und entnahm ihr eine Zigarette.
»Hey, er hat dich geschlagen. Du hast ihn angezeigt. Du hast ihn verlassen. Er ist verzweifelt, und er verfolgt dich.«
»Aber wieso bringt er dann den jungen Lahnstein um? So ein Blödsinn. Ich habe Frank seit der Schule nicht mehr gesehen.«
»Wirklich nicht?«
»Fang du nicht auch noch damit an!« Erzürnt sprang Tania auf,
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