Kalte Herzen
bin so müde. Ich wünschte, ich könnte irgendwohin weglaufen und eine ganze Woche nur schlafen.«
»Vielleicht sollten Sie bei Mark ausziehen. Ich habe noch ein freies Zimmer, und meine Großmutter fährt wieder.«
»Ich dachte, sie würde ständig bei Ihnen wohnen?«
»Sie macht bei ihren Enkeln die Runde. Im Moment ist es meine Cousine in Concord, die sich für den Besuch wappnet.«
Abby schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich liebe Mark. Ich traue ihm nicht mehr, aber ich liebe ihn.
Gleichzeitig weiß ich, daß wir ihn mit unseren Nachforschungen ruinieren könnten.«
»Es könnte ihm auch das Leben retten.«
Abby sah Vivian voller Verzweiflung an. »Ich rette sein Leben, aber ich zerstöre seine Karriere. Vielleicht ist er mir dafür nicht gerade dankbar.«
»Aaron wäre Ihnen dankbar gewesen. Und Kunstler auch.
Hennessys Frau und das Baby jedenfalls ganz bestimmt.«
Abby sagte nichts.
»Wie sicher sind Sie, daß Mark in die Sache verwickelt ist?«
»Ich bin gar nicht sicher. Das macht es ja so schwierig. Ich möchte ihm glauben, und ich habe weder Beweise für das eine noch für das andere.« Wieder legte sie die Hand auf ihre Notizen. »Ich habe bisher fünfundzwanzig Akten eingesehen.
Einige der Transplantationen liegen bis zu zwei Jahre zurück.
Und Marks Name steht in jeder von ihnen.«
»Genau wie Archers und Aarons. Das sagt uns noch gar nichts.
Was haben Sie sonst noch in Erfahrung gebracht?«
»Die Akten sehen alle ziemlich gleich aus. Sie unterscheiden sich kaum voneinander.«
»Was ist mit den Spendern?«
»Da wird die Sache interessant.« Abby blickte sich in dem Restaurant um und beugte sich vor. »Nicht alle Krankenakten erwähnen die Stadt, aus der das Spenderorgan kommt, aber eine Reihe von ihnen schon. Offenbar gibt es eine Ballung von Fällen. Vier stammen aus Burlington, Vermont.«
»Das Wilcox Memorial?«
»Ich weiß es nicht. In den Notizen der Krankenschwestern wird das Krankenhaus nie namentlich erwähnt. Aber ich finde es interessant, daß in einer relativ kleinen Stadt wie Burlington so viele Hirntote anfallen.«
Ihre Blicke trafen sich. Vivian war perplex. »Da stimmt irgendwas überhaupt nicht. Bis jetzt erstreckte sich unsere Hypothese lediglich auf ein geheimes Netzwerk zur Beschaffung von Spenderorganen, die nie im offiziellen Registrierungssystem aufgetaucht sind. Aber das erklärt nicht ihre Ballung in einer einzigen Stadt. Es sei denn …«
»Es sei denn, die Spender werden regelrecht produziert.«
Sie verstummten.
Burlington ist eine Universitätsstadt, dachte Abby, voller junger, gesunder Collegestudenten. Mit jungen, gesunden Herzen.
»Kann ich die Daten der vier Organentnahmen in Burlington haben?« fragte Vivian.
»Ich habe sie hier notiert. Warum?«
»Ich werde sie mit den Todesanzeigen von Burlington vergleichen und herausfinden, wer an diesen Tagen gestorben ist. Vielleicht könnten wir die Namen der Spender in Erfahrung bringen und herausfinden, ob es sich um Fälle von Hirntod gehandelt hat.«
»In den Todesanzeigen wird die Todesursache meist nicht erwähnt.«
»Dann müssen wir die Totenbescheinigungen einsehen. Das heißt, einer von uns muß nach Burlington, ein Ort den ich schon immer gerade nicht besuchen wollte.« Vivians Ton war beinahe fest, sie hatte wieder die Pose der mutigen Frau auf dem Kriegspfad angenommen, eine Rolle, die sie perfekt beherrschte.
Doch diesmal gelang es ihr nicht, den besorgten Unterton zu überspielen.
»Sind Sie sicher, daß Sie es machen wollen?« fragte Abby.
»Wenn wir es nicht tun, gewinnt Victor Voss. Und die Verlierer werden Menschen wie Josh O’Day sein.« Sie hielt inne und fragte leise. »Wollen Sie auch weitermachen, Abby?«
Abby ließ erneut den Kopf in die Hände sinken. »Ich glaube, ich habe gar keine andere Wahl mehr.«
Marks Wagen stand in der Auffahrt.
Abby parkte ihren Wagen dahinter und schaltete den Motor ab.
Lange Zeit saß sie einfach da und raffte ihre Energie zusammen, um auszusteigen und zum Haus zu gehen. Um ihm in die Augen zu sehen.
Schließlich stieg sie aus und öffnete die Haustür.
Er saß im Wohnzimmer und guckte die Spätnachrichten.
Sobald sie hereinkam, schaltete er den Fernseher aus. »Wie geht es Vivian?«
»Gut. Sie ist auf die Füße gefallen, sie kauft sich eine Praxis in Wakefield.« Abby hängte ihren Mantel in den Garderobenschrank. »Und wie war dein Tag?«
»Wir hatten ein Aortenaneurysma. Der Patient hat sechzehn
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