Kalte Herzen
auf dem Parkplatz um. Kein Van.
Als sie um Viertel nach zehn nach Hause kam, war Mark schon ins Bett gegangen und hatte das Licht gelöscht. Sie war erleichtert, daß sie seine Fragen nicht beantworten mußte, zog sich im Dunkeln aus und schlüpfte unter die Bettdecke, ohne ihn zu berühren. Sie hatte beinahe Angst, ihn zu berühren.
Als er sich plötzlich bewegte und den Arm nach ihr ausstreckte, spürte sie, wie ihr ganzer Körper erstarrte.
»Ich habe dich vermißt«, murmelte er. Er drehte sich zu ihr und küßte sie lang und innig. Seine Hand glitt an ihrem Körper hinab und streichelte ihre Hüfte. Sie bewegte sich nicht. Sie kam sich vor wie eine Kleiderpuppe, starr und weder in der Lage zu reagieren noch ihn abzuwehren. Sie lag mit geschlossenen Augen da, ihr Puls dröhnte in ihren Ohren, als er sie in seine Arme zog und in sie drang.
Mit wem schlafe ich gerade? fragte sie sich, als er wieder und wieder in sie stieß, so daß ihre Becken mit fast roher Gewalt gegeneinanderprallten.
Dann war es vorbei, und er zog sich zurück.
»Ich liebe dich«, flüsterte er.
Erst lange, nachdem er eingeschlafen war, flüsterte sie ihre Antwort: »Ich liebe dich auch.«
Am nächsten Morgen war sie um halb acht wieder im Archiv.
Heute waren mehrere Tische von Ärzten besetzt, die vor der Morgenvisite ihren Papierkram erledigen wollten. Abby fragte nach fünf weiteren Akten, machte sich rasch Notizen, gab die Akten zurück und ging.
Sie verbrachte den Vormittag in der medizinischen Bibliothek, wo sie weitere Artikel für Dr. Wettig heraussuchte. Erst am späten Nachmittag kehrte sie ins Archiv zurück.
Sie verlangte zehn weitere Krankenakten.
Vivian verputzte den letzten Bissen von ihrem mittlerweile vierten Stück Pizza. Es war Abby ein Rätsel, wo sie das alles ließ. Dieser elfengleiche Körper verbrauchte Kalorien wie ein Fett verbrennender Ofen. Seit sie an dem Tisch bei Ginelli’s Platz genommen hatten, hatte Abby erst ein paar Happen zu sich genommen, und auch die nur mit Mühe.
Vivian wischte sich die Hände an einer Serviette ab. »Mark weiß es immer noch nicht?«
»Ich habe ihm nichts gesagt. Vermutlich habe ich Angst davor.«
»Wie können Sie das ertragen? Im selben Haus mit ihm zu leben, ohne zu reden?«
»Wir reden schon, nur nicht darüber.« Abby legte ihre Hand auf den Stapel Notizen – Notizen, die sie den ganzen Tag mit sich herumgetragen hatte. Sie hatte darauf geachtet, sie so aufzubewahren, daß Mark sie nicht finden konnte. Als sie gestern abend von McDonald’s nach Hause gekommen war, hatte sie sie unter der Couch verstaut. Sie hatte den Eindruck, in letzter Zeit so viel vor ihm zu verbergen, und sie wußte nicht, wie lange sie das noch durchhalten konnte.
»Abby, früher oder später müssen Sie mit ihm reden.«
»Noch nicht. Nicht, bis ich es sicher weiß.«
»Sie haben doch keine Angst vor Mark, oder?«
»Ich habe Angst, daß er alles leugnen wird. Und daß ich dann nicht sicher sein kann, ob er mir die Wahrheit sagt.« Sie fuhr sich mit der Hand durch das Haar. »Meine ganze Weltsicht hat sich verschoben. Ich dachte immer, ich würde auf festem Boden stehen. Wenn ich irgend etwas unbedingt wollte, habe ich wie verrückt dafür geschuftet. Und jetzt kann ich mich nicht entscheiden, welchen Schritt ich tun soll. Alles, worauf ich mich verlassen habe, zählt nicht mehr.«
»Sie meinen Mark!«
Niedergeschlagen rieb Abby sich über ihr Gesicht. »Vor allem Mark.«
»Sie sehen schrecklich aus, Abby.«
»Ich habe in letzter Zeit nicht besonders gut geschlafen. Mir gehen so viele Dinge durch den Kopf. Nicht nur Mark, auch die Sache mit Mary Allen. Ich warte jeden Moment darauf, daß Detective Katzka mit Handschellen vor meiner Tür steht.«
»Glauben Sie, er hat Sie im Verdacht?«
»Ich glaube, er ist zu intelligent, um mich nicht im Verdacht zu haben.«
»Bis jetzt haben Sie noch nichts von ihm gehört. Vielleicht läßt er die Sache auf sich beruhen. Vielleicht überschätzen Sie ihn auch.«
Abby dachte an Bernard Katzkas stille, graue Augen und erwiderte: »Der Mann ist schwer zu durchschauen. Aber ich glaube, Katzka ist nicht nur schlau, sondern auch hartnäckig. Er macht mir angst, aber er fasziniert mich seltsamerweise auch.«
Vivian lehnte sich zurück. »Interessant. Die Faszination der Gejagten für den Jäger?«
»Manchmal möchte ich Katzka einfach anrufen und ihm alles erzählen, die Sache hinter mich bringen.« Abby ließ den Kopf in ihre Hände sinken. »Ich
Weitere Kostenlose Bücher