Kalte Herzen
Licht. Der Frachter hatte die Deckbeleuchtung eingeschaltet, der Pier war mit einem Mal taghell. Ein Mann stand auf der Landungsbrücke, ein zweiter kauerte mit einer Taschenlampe am Rand des Piers.
Neben ihm stand ein dritter Mann, der mit einem Gewehr auf das Wasser zielte.
»Los«, befahl Katzka.
Abby tauchte und tastete sich durch die nasse Dunkelheit. Sie war nie eine gute Schwimmerin gewesen. Tiefes Wasser machte ihr angst. Jetzt schwamm sie durch Gewässer, die so finster waren, daß sie ebensogut bodenlos hätten sein können. Sie tauchte auf, um erneut Luft zu schnappen, schien jedoch nie genug Sauerstoff einsaugen zu können, egal wie tief sie einatmete.
»Schwimmen Sie weiter, Abby!« drängte Katzka sie. »Sie müssen es nur bis zum nächsten Pier schaffen!«
Abby blickte sich zu dem Frachter um und sah, daß der Suchscheinwerfer einen immer größer werdenden Kreis auf dem Wasser ausleuchtete und sich auf sie zubewegte.
Sie tauchte wieder unter.
Als sie und Katzka sich endlich an Land hangelten, konnte Abby ihre Glieder kaum noch bewegen. Sie kroch über die von Tang und Öl glitschigen Steine, hockte mit aufgeschlagenen Knien in der Dunkelheit und erbrach sich ins Wasser.
Katzka faßte ihren Arm und stützte sie. Sie zitterte so heftig vor Erschöpfung, daß sie das Gefühl hatte, ohne seinen stützenden Griff zusammenzuklappen.
Endlich war ihr Magen leer, und sie hob matt den Kopf.
»Besser?« flüsterte er.
»Mir ist eiskalt.«
»Dann sollten wir uns ein warmes Plätzchen suchen.« Er blickte zum Pier, der sich vor ihnen erhob. »Ich denke, wir können über das Geröll dort klettern. Kommen Sie.«
Gemeinsam tasteten sie sich über die Steine, wobei sie auf den von Moos und Seetang glitschigen Oberflächen immer wieder ausrutschten. Katzka erklomm den Pier als erster und zog sie nach oben. Dort gingen sie in die Hocke.
Der Suchscheinwerfer teilte den Nebel und erfaßte sie.
Direkt hinter Abby prallte eine Kugel auf den Beton.
»Laufen Sie!« rief Katzka.
Sie spurteten los. Der Suchscheinwerfer verfolgte sie, sein Lichtstrahl schnitt im Zickzack durch die Dunkelheit. Sie ließen den Pier hinter sich und rannten auf den Containerhof zu. Vor, hinter und neben ihnen wirbelten Kugeln Schotter auf. Hinter der ersten Reihe von Containern suchten sie Schutz. Kugeln prallten auf Metall, bevor das Feuer eingestellt wurde.
Abby wurde langsamer, um zu Atem zu kommen. Das Schwimmen hatte sie bereits ausgelaugt, und das Würgen am Salzwasser hatte sie weiter geschwächt, und jetzt zitterte sie so heftig, daß sie ins Stolpern geriet.
Stimmen kamen näher. Sie schienen aus zwei verschiedenen Richtungen gleichzeitig zu kommen. Katzka packte ihren Arm und zog sie tiefer in das Labyrinth aus Containern.
Sie liefen bis zum Ende der Reihe, wandten sich nach links und rannten weiter. Dann blieben beide abrupt stehen.
Vor ihnen am Ende der Reihe schimmerte ein Licht.
Sie waren direkt vor ihnen!
Katzka hielt sich rechts und bog in einen weiteren Gang ein.
Die gestapelten Container erhoben sich zu beiden Seiten wie die Wände einer Felsspalte. Wieder hörten sie Stimmen und änderten erneut die Richtung. Inzwischen waren sie so oft abgebogen, daß Abby nicht zu sagen gewußt hätte, ob sie im Kreis liefen und dieselbe Stelle nicht eben schon einmal passiert hatten.
Vor ihnen tanzte ein Licht. Sie blieben stehen, fuhren herum und sahen eine weitere Taschenlampe aufblitzen. Ihr Strahl schwankte hin und her und bewegte sich auf sie zu.
Sie sind vor uns. Und hinter uns, durchfuhr es sie. Panisch taumelte Abby rückwärts, streckte die Hand aus, um sich abzustützen, und ertastete einen Spalt zwischen zwei Containern.
Die Lücke war kaum groß genug, um sich hineinzuzwängen.
Der Strahl der Taschenlampe kroch näher.
Abby packte Katzkas Arm, zwängte sich in die Öffnung und zog ihn hinter sich her. Tiefer und tiefer drängte sie durch ein Netz von Spinnweben in den Spalt, bis sie an die Wand des angrenzenden Containers stieß. Es ging nicht weiter. Sie saßen in der Falle, eingepfercht in einen Raum, der enger war als ein Sarg.
Knirschende Schritte näherten sich auf dem Schotter. Katzka ergriff ihre Hand, doch das half wenig gegen ihre Panik. Ihr Herz hämmerte gegen ihre Brust. Die Schritte kamen näher. Sie hörte jetzt auch Stimmen – ein Mann, der einem anderen etwas zurief, worauf jener in einer nicht zu identifizierenden Sprache antwortete. Oder war es nur das Blut, das in ihren Ohren
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