Kalte Herzen
rauschte und die Wörter bis zur Unverständlichkeit verzerrte?
Ein Lichtstrahl tanzte an der Öffnung des Spalts entlang. Die beiden Männer standen ganz in der Nähe und unterhielten sich, offenbar ratlos. Sie mußten mit ihren Taschenlampen nur in die Öffnung leuchten und würden ihre Beute in der Falle entdecken.
Einer der Männer stampfte auf den Boden, Schotter schlug scheppernd gegen die Container.
Abby schloß die Augen, weil sie viel zu viel Angst hatte, hinzuschauen. Sie wollte nicht zusehen, wie das Licht in ihr Versteck fiel. Katzka drückte ihre Hand fester. Ihre Glieder waren steif vor Anspannung, ihr Atem ging abgerissen und keuchend.
Wieder hörte sie, wie Schuhe über den Boden schlurften, Schotter aufwirbelten und gegen die Container schleuderten.
Dann entfernten sich die Schritte.
Abby wagte nicht, sich zu rühren. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie sich überhaupt rühren konnte. Ihre Beine schienen wie festgewachsen. Jahre später wird man mich hier finden, dachte sie, ein vor Angst erstarrtes Skelett.
Katzka bewegte sich schließlich als erster. Er schlich auf die Öffnung zu und wollte gerade seinen Kopf hinausstecken, als sie ein leises Klicken hörten. Ein Licht blitzte auf: Jemand hatte sich eine Zigarette angezündet. Katzka erstarrte. Zigarettenqualm trieb durch die Dunkelheit.
Von irgendwoher rief leise eine Männerstimme.
Der Raucher knurrte eine Antwort, dann verhallten seine Schritte.
Katzka rührte sich nicht.
Hand in Hand blieben sie reglos stehen, keiner wagte es, auch nur ein Wort zu flüstern. Zweimal noch hörten sie, wie die Verfolger an ihrem Versteck vorbeikamen, jedesmal gingen die Männer weiter.
Man hörte ein fernes Rumpeln wie Donnergrollen irgendwo über dem Horizont.
Dann hörten sie lange Zeit gar nichts.
Stunden später trauten sie sich endlich aus ihrem Versteck. Sie schlichen an der Reihe von Containern entlang und blieben stehen, um das Ufer abzusuchen. Die Nacht war irritierend still geworden. Der Nebel hatte sich aufgelöst, und am von den Lichtern der Stadt erleuchteten Himmel sah man das blasse Licht der Sterne.
Der nächste Pier war dunkel. Sie sahen keine Männer, kein Licht, nicht einmal das Schimmern aus dem Bullauge, nur die lange, flache Silhouette des ins Wasser ragenden Betonpiers und das glitzernde Mondlicht auf den Wellen.
Der Frachter war verschwunden.
Zweiundzwanzig
D er Alarm am Herzmonitor spielte kreischend verrückt, als die EKG-Linie in einem chaotischen Todestanz über den Bildschirm flimmerte.
»Mr. Voss!« Eine Schwester faßte Victors Arm und versuchte, ihn von Ninas Bett wegzuziehen. »Die Ärzte brauchen Platz zum Arbeiten.«
»Ich lasse sie nicht allein.«
»Mr. Voss, sie können ihre Arbeit nicht machen, wenn Sie im Weg stehen!«
Victor schüttelte die Hand der Frau mit einer Heftigkeit ab, die sie wie von einem Schlag zusammenzucken ließ. Er blieb am Fußende des Bettes seiner Frau stehen und packte das Gestell so fest, daß seine Fingerknöchel wie blanke Knochen aussahen.
»Zurück!« befahl er. »Alle zurück!«
»Mr. Voss!« Dr. Archers Stimme hatte sich schneidend über den Lärm erhoben. »Wir müssen das Herz Ihrer Frau defibrillieren! Sie müssen sofort das Bett Ihrer Frau loslassen.«
Victor ließ das Gestell los und trat zurück.
Der Elektroschock wurde ausgelöst und schoß wie ein einzelner, barbarischer Stoß durch Ninas Körper. Sie war zu klein und zerbrechlich, um so mißhandelt zu werden! Wütend machte Victor einen Schritt nach vorn und wollte die Elektroden abreißen. Dann hielt er inne.
Auf dem Monitor über dem Bett hatte sich die zerklüftete Linie in einen ruhigen und stabilen Rhythmus von Herztönen verwandelt. Er hörte, wie jemand einen Seufzer ausstieß, und spürte, wie er selbst abrupt ausatmete.
»Herzfrequenz bei sechzig. Fünfundsechzig …«
»Der Rhythmus scheint stabil.«
»Frequenz bei fünfundsiebzig.«
»Dreht die Infusion ab.«
»Sie bewegt den Arm. Können wir ihr Handgelenk bitte fixieren?«
Victor drängte an den Schwestern vorbei an Ninas Seite.
Niemand versuchte ihn aufzuhalten. Er nahm ihre Hand und preßte sie an seine Lippen. Auf ihrer Haut schmeckte er das Salz seiner Tränen. Bleib bei mir. Bitte, bleib bei mir!
»Mr. Voss?« Die Stimme schien ihn aus weiter Entfernung zu rufen. Er drehte sich um und blickte in Dr. Archers Gesicht.
»Können wir kurz nach draußen gehen?« fragte Archer. Victor schüttelte den Kopf.
»Im Augenblick geht es ihr
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