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Kalte Herzen

Kalte Herzen

Titel: Kalte Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Kehle plötzlich ganz trocken war. »Es war kein Selbstmord?«
    »Nein.«
    Abby atmete tief ein und langsam wieder aus. Einen Moment lang war sie zu entsetzt, um etwas zu sagen. Sie wagte nicht einmal, sich vorzustellen, wie Aaron gestorben war. Durch den Zaun blickte sie zum Pier. Nebelschwaden trieben über das Hafenbecken. Mapes war nicht wieder aufgetaucht. Der Frachter erhob sich schwarz und schweigend im verblassenden Dämmerlicht.
    »Ich will wissen, was auf diesem Schiff ist«, sagte sie. »Ich will wissen, warum er hierhergekommen ist.« Sie machte Anstalten die Tür zu öffnen.
    Er hielt sie zurück. »Noch nicht.«
    »Wann denn?«
    »Lassen Sie uns ein Stück die Straße hinauffahren und dort warten.« Er sah in den Himmel und den Nebel, der sich über dem Wasser zusammenzog. »Bald ist es dunkel.«

Einundzwanzig
    W ie lange sitzen wir hier schon?«
    »Erst eine Stunde«, sagte Katzka.
    Abby zitterte und schlang die Arme um ihren Körper. Der Abend war noch kühler geworden, die Wagenfenster waren von ihrem Atem beschlagen. Im Nebel warf eine Straßenlaterne ein schweflig gelbes Licht auf die unwirtliche Umgebung.
    »Interessant, daß Sie es so formulieren: ›Erst eine Stunde‹. Ich habe das Gefühl, wir sind schon den ganzen Abend hier.«
    »Alles eine Frage der Perspektive. Ich habe viele Beschattungen gemacht, am Anfang meiner Karriere.«
    Katzka als junger Mann, als Anfänger mit rosigem Gesicht – das konnte sie sich einfach nicht vorstellen. »Warum sind Sie Polizist geworden?« fragte sie.
    Er zuckte die Schultern, ein Schatten in dem dunklen Wagen.
    »Es paßte zu mir.«
    »Das erklärt vermutlich alles.«
    »Warum sind Sie Ärztin geworden?«
    »Die Antwort darauf ist kompliziert.«
    »Dann war es also kein einfacher Grund. So was wie das Wohl der Menschheit?«
    Jetzt war es an ihr, die Achseln zu zucken. »Die Menschheit wird mein Fehlen kaum bemerken.«
    »Sie studieren acht Jahre, die Ausbildung zur Fachärztin dauert weitere fünf. Das muß schon ein ziemlich zwingender Grund sein.«
    Das Fenster war wieder beschlagen. Als sie mit der Hand darüberwischte, fühlte sich das Kondenswasser merkwürdig warm auf ihrer Haut an. »Wenn ich Ihnen einen Grund nennen müßte, würde ich wohl sagen, es war mein Bruder. Als er zehn Jahre alt war, mußte er ins Krankenhaus. Ich habe viel Zeit dort verbracht und den Ärzten bei der Arbeit zugesehen.«
    Katzka wartete, daß sie den Gedanken weiter ausführte. Als sie das nicht tat, fragte er leise: »Ihr Bruder hat nicht überlebt?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Es ist lange her.« Abby blickte auf die schimmernde Feuchtigkeit auf ihrer Hand. Warm wie Tränen, dachte sie. Und einen heiklen Moment lang glaubte sie, daß sie echte Tränen vergießen würde. Sie war froh, daß Katzka stumm blieb; ihr war nicht danach, weitere Fragen zu beantworten und die alten Bilder heraufzubeschwören, Pete auf einer Liege, seine neuen Tennisschuhe blutbespritzt. Wie klein die Schuhe ausgesehen hatten, viel zu klein für einen zehnjährigen Jungen.
    Und dann die Monate, als sie zugesehen hatte, wie er im Koma lag, während sein Körper verfiel und seine Gliedmaßen sich zu einer permanenten Selbstumarmung zusammenzogen. In der Nacht, als er gestorben war, hatte Abby ihn aus seinem Bett gehoben und ihn in ihren Armen gewiegt. Er hatte sich ganz leicht angefühlt und zerbrechlich wie ein Kleinkind.
    All das erzählte sie Katzka nicht, doch sie spürte, daß er alles, was er davon wissen mußte, verstanden hatte. Kommunikation via Empathie. Sie hatte nicht erwartet, daß er über diese Fähigkeit verfügte. Aber es gab so vieles an Katzka, was sie überraschte.
    Er spähte in die Nacht und meinte dann: »Ich glaube, es ist jetzt dunkel genug.«
    Sie stiegen aus dem Wagen und traten durch das offene Tor auf den Containerhof. Die Umrisse des Frachters ragten aus dem Nebel. Das einzige Licht an Bord war ein eigenartig grünlicher Schein, der aus einem der unteren Bullaugen fiel. Ansonsten wirkte das Schiff verlassen. Sie kamen an einem auf einer Palette gestapelten Turm von leeren Kisten vorbei und erreichten den Pier.
    Am Landungssteg des Schiffes blieben sie stehen und lauschten, wie das Wasser gegen den Rumpf platschte und die Stahlkabel ächzten. Das Kreischen eines weiteren startenden Jets überraschte sie beide. Abby blickte in den Himmel. Als sie die Lichter des Flugzeugs verschwinden sah, hatte sie das verwirrende Gefühl, daß sie diejenige war, die durch Raum und

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