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Kalte Herzen

Kalte Herzen

Titel: Kalte Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Straßenrand wieder und wieder abgesucht, sie aber nirgendwo in der Nähe des verbeulten Fahrrads gefunden hatten.
    Er hatte sie lange nicht mehr besucht, nicht mehr seit der Nacht vor ihrem ersten Collegetag. Es war immer das gleiche, wenn er kam. Er saß nur da und sah sie an, ohne ein Wort zu sagen.
    »Wo bist du gewesen, Pete?« fragte sie. »Warum bist du gekommen, wenn du nichts sagen willst?«
    Er saß weiter da und beobachtete sie, sein Blick stumm, seine Lippen unbeweglich. Der Kragen seines blauen Hemdes war steif gestärkt, so wie ihre Mutter ihn zur Beerdigung aufgebügelt hatte. Er drehte sich um und blickte ins Nebenzimmer. Ein heller Ton schien ihn zu rufen; er begann zu zittern wie Wasser, in das man einen Stein hineingeworfen hat.
    »Was wolltest du mir sagen?« fragte sie.
    Das Wasser war jetzt aufgewühlt und schäumte gischtig unter all den Klängen. Nach einem weiteren schrillen Klingeln hatte Pete sich ganz aufgelöst und nur Dunkelheit zurückgelassen.
    Und das klingelnde Telefon.
    Abby griff nach dem Hörer. »DiMatteo«, meldete sie sich.
    »Hier ist die Intensivchirurgie. Ich denke, Sie sollten besser kommen.«
    »Was ist denn los?«
    »Es ist Mrs. Voss in Bett fünfzehn, die Transplantation. Sie hat leichtes Fieber, achtunddreißig Komma sechs.«
    »Wie geht es ihr sonst?«
    »Blutdruck hundert zu siebzig, Puls sechsundneunzig.«
    »Ich komme sofort.« Abby legte auf und machte die Lampe an.
    Es war zwei Uhr morgens. Der Stuhl neben ihrem Bett war leer. Kein Pete. Stöhnend stieg sie aus dem Bett und stolperte quer durch das Zimmer auf das Waschbecken zu, wo sie sich kaltes Wasser ins Gesicht spritzte. Sie nahm die Kälte gar nicht wahr, spürte das Wasser wie unter Betäubung. Wach auf, wach auf, ermahnte sie sich. Du mußt wissen, was du tust, verdammt noch mal! Ein postoperatives Fieber drei Tage nach einer Transplantation. Als erstes mußte sie die Wunde kontrollieren, Lungen und Unterleib untersuchen, eine Thoraxaufnahme anordnen und Kulturen anlegen lassen.
    Und immer die Ruhe bewahren.
    Sie konnte sich keine Fehler leisten. Nicht zu diesem Zeitpunkt und ganz bestimmt nicht bei dieser Patientin.
    In den letzten drei Tagen hatte sie das Bayside jedesmal betreten, ohne zu wissen, ob sie überhaupt noch einen Job hatte.
    Und jeden Nachmittag um fünf hatte sie vor Erleichterung geseufzt, weil sie weitere vierundzwanzig Stunden überlebt hatte.
    Mit jedem verstreichenden Tag schien die Krise weiter zu verblassen, genau wie die Erinnerung an Parrs Drohung. Sie wußte, daß sie Wettig auf ihrer Seite hatte, und auch Mark. Mit deren Hilfe konnte sie ihren Job vielleicht – nur vielleicht – behalten. Sie wollte Parr keinen weiteren Anlaß bieten, ihre Arbeit als Ärztin anzuzweifeln. Darum ging sie seither peinlich genau vor und prüfte jedes Laborergebnis auf jeden Befund zweimal. Und sie hatte darauf geachtet, Nina Voss’ Krankenzimmer zu meiden. Eine weitere Begegnung mit dem wütenden Victor Voss war das letzte, was sie brauchte.
    Doch jetzt hatte Nina Voss Fieber, und Abby war die diensttuende Assistenzärztin. Das konnte sie nicht umgehen; sie mußte ihre Arbeit tun.
    Sie zog ihre Schuhe an und verließ den Bereitschaftsraum.
    Spätnachts ist ein Krankenhaus ein surrealer Ort. Leere Flure dehnen sich unter zu grellen Lichtern, und für müde Augen scheinen sich die weißen Wände zu wölben und zu schwanken.
    Durch einen solchen beweglichen Tunnel bahnte Abby sich ihren Weg. Ihr Körper war taub, ihr Verstand noch nicht auf Touren. Nur ihr Herz reagierte angemessen auf die Krise: Es pochte heftig.
    Sie bog um die Ecke und kam auf die chirurgische Intensivstation.
    Die Lichter wurden nachts heruntergedreht – es war das einzige Zugeständnis der modernen Technologie an den Tagesrhythmus des Menschen. Im Halbdunkel des Schwesternzimmers huschten die elektrischen Signale von sechzehn Patientenherzen über sechzehn Monitore. Ein Blick auf Monitor Nr. fünfzehn bestätigte, daß Mrs. Voss einen erhöhten Puls von hundert hatte.
    Die Schwester, die die Monitore überwachte, nahm das klingelnde Telefon ab und sagte dann: »Dr. Levi ist am Apparat.
    Er möchte mit dem Bereitschaftsarzt sprechen.«
    »Ich übernehme das Gespräch«, erklärte Abby und griff nach dem Hörer. »Hallo, Dr. Levi? Hier ist Abby DiMatteo.«
    Es entstand ein verlegenes Schweigen. »Sie haben heute nacht Bereitschaft?« fragte er, und sie hörte den entsetzten Unterton in seiner Stimme. Sie verstand sofort. Abby

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