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Kalte Herzen

Kalte Herzen

Titel: Kalte Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Königsbauer auf e4.
    »Warst du schon mal in Amerika?« fragte Jakov über den Maschinenlärm hinweg.
    »Zweimal«, antwortete Koubichev und zog seinen Damenbauern vor.
    »Hat es dir da gefallen?«
    »Weiß nicht. Wir kriegen keinen Landgang. Sie stellen uns unter Arrest, sobald wir in den Hafen einlaufen. Ich kriege nie irgendwas zu sehen.«
    »Warum befiehlt der Kapitän das?«
    »Das kommt nicht vom Kapitän. Das kommt von den Leuten auf dem Achterdeck.«
    »Was für Leute? Ich habe da noch nie jemand gesehen.«
    »Die kriegt keiner zu sehen.«
    »Woher weißt du dann, daß sie da sind?«
    »Frag Lubi. Er kocht für sie. Irgend jemand muß das Essen, das er da raufschickt, ja essen. Was ist, machst du demnächst mal einen Zug?«
    Mit großer Konzentration bewegte Jakov einen weiteren Bauern. »Warum haust du nicht einfach vom Schiff ab, wenn wir da sind?« fragte er.
    »Warum sollte ich?«
    »Um in Amerika zu bleiben und reich zu werden.«
    Koubichev grunzte. »Die Heuer ist gut. Ich kann mich nicht beklagen.«
    »Was zahlen sie dir denn?«
    »Du bist ganz schön neugierig.«
    »Viel?«
    »Mehr, als ich vorher gekriegt habe. Mehr, als die meisten anderen kriegen. Und nur dafür, auf dem verdammten Atlantik hin- und herzuschippern.«
    Jakov zog seine Dame vor. »Dann ist es also ein guter Job, Maschinist auf einem Schiff zu sein?«
    »Das ist ein dämlicher Zug, die Dame rauszuholen. Warum hast du das gemacht?«
    »Ich probiere eben neue Sachen aus. Ob ich später auch Maschinist werden soll?«
    »Besser nicht.«
    »Aber du verdienst doch viel.«
    »Nur, weil ich für die Sigajew-Gesellschaft arbeite. Die zahlen ziemlich gut.«
    »Warum?«
    »Ich halte meine Klappe.«
    »Worüber?«
    »Woher, zum Teufel, soll ich das wissen?« Koubichev beugte sich über das Schachbrett. »Mein Läufer nimmt deine Dame. Ich habe dir ja gesagt, daß das ein dämlicher Zug war.«
    »Es war ein Experiment«, gab Jakov zurück.
    »Na, dann hast du hoffentlich was draus gelernt.«
    Ein paar Tage später fragte Jakov den Steuermann auf der Brücke: »Was ist die Sigajew-Gsellschaft?«
    Der Steuermann sah ihn erstaunt an. »Wo hast du denn den Namen gehört?«
    »Koubichev hat ihn erwähnt.«
    »Das hätte er lassen sollen.«
    »Also wollen Sie auch nicht darüber reden«, stellte Jakov fest.
    »Genau.«
    Eine Zeitlang beobachtete Jakov schweigend, wie der Steuermann an seinen elektrischen Geräten hantierte. Auf einem kleinen Bildschirm blitzten ständig kleine Nummern auf, die der Steuermann in ein Buch eintrug. Anschließend studierte er die Karte.
    »Wo sind wir?« fragte Jakov.
    »Hier.« Der Steuermann deutete auf ein kleines Kreuz auf der Karte. Es war mitten im Ozean.
    »Woher wissen Sie das?«
    »Durch die Nummern auf dem Bildschirm. Längen- und Breitengrad. Siehst du?«
    »Als Steuermann müssen Sie ganz schön schlau sein, oder?«
    »So schlau nun auch wieder nicht.« Mittlerweile glitt der Steuermann mit zwei durch ein Scharnier verbundenen Plastiklinealen über die Karte. Er klappte sie zusammen und schob sie über die Kompaßrose am Rand.
    »Machen Sie was Illegales?« fragte Jakov.
    »Was?«
    »Sollen Sie deswegen nicht darüber reden?«
    Der Steuermann seufzte. »Ich bin nur dafür verantwortlich, dieses Schiff heil von Riga nach Boston und zurück nach Riga zu bringen.«
    »Sind immer Waisenkinder an Bord?«
    »Nein. Normalerweise sind es Frachtcontainer. Ich frage nicht, was drin ist. Ich stelle überhaupt keine Fragen. Punkt.«
    »Also könnten Sie was Illegales tun?«
    Der Steuermann lachte. »Du bist ein kleiner Teufel, was?« Er wandte sich seinem Notizbuch zu und trug Nummern in schmale Spalten ein.
    Der Junge sah ihm eine Weile schweigend zu. Dann fragte er in die Stille: »Glauben Sie, daß jemand mich adoptieren will?«
    »Natürlich will jemand dich adoptieren.«
    »Auch damit?« fragte Jakov und hob seinen verkrüppelten Arm hoch. Der Steuermann blickte ihn an, und Jakov sah für einen Moment Mitleid in den Augen des Mannes aufflackern.
    »Ich weiß ganz sicher, daß jemand dich adoptieren wird«, sagte er.
    »Woher wissen Sie das?«
    »Schließlich hat jemand deine Passage bezahlt und sich um deine Papiere gekümmert.«
    »Ich habe meine Papiere noch nie gesehen. Sie vielleicht?«
    »Das geht mich nichts an. Ich muß nur dieses Schiff nach Boston bringen.« Er schob Jakov beiseite. »Warum gehst du nicht zurück zu den anderen Jungen? Na los.«
    »Denen ist immer noch schlecht.«
    »Dann geh halt woanders

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