Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kalte Herzen

Kalte Herzen

Titel: Kalte Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
Vom Netzwerk:
»Dabei ist er Preis, den ich zahle nicht annähernd so hoch wie der, den Sie vielleicht zahlen müssen.«
    »Ich habe wenigstens noch einen Job.«
    »Aber wie lange noch? Sie sind erst Assistenzärztin im zweiten Jahr, Abby. Lassen Sie nicht zu, daß er sie fertigmacht.
    Sie sind eine zu gute Ärztin, um sich einfach so rausdrängen zu lassen.«
    Abby schüttelte den Kopf. »Manchmal frage ich mich, ob es das alles wert war.«
    »Ob es das wert war?« Vivian blieb vor Zimmer vierhundertsiebzehn stehen. »Sehen Sie selbst, und dann sagen Sie es mir.«
    Sie klopfte an und betrat das Zimmer.
    Der Junge saß auf seinem Bett und spielte mit einer TV-Fernbedienung. Ohne seine Red-Sox-Kappe hätte Abby Josh O’Day vielleicht gar nicht wiedererkannt, so verwandelt war seine Erscheinung durch den gesunden, rosigen Glanz. Als er Vivian sah, grinste er breit.
    »Hallo, Dr. Chao!« johlte er. »Mann, ich hab’ mich schon gefragt, ob Sie mich gar nicht mehr besuchen kommen.«
    »Ich war schon hier«, sagte Vivian. »Zweimal. Aber du hast jedesmal geschlafen.« Sie schüttelte mit gespielter Empörung den Kopf. »Der klassische faule Teenager.«
    Sie lachten beide. Es entstand ein kurzes Schweigen, bevor Josh beinahe schüchtern die Arme ausbreitete.
    Einen Moment lang stand Vivian reglos da, als wüßte sie nicht, wie sie reagieren sollte. Als sei ein unsichtbares Band, das sie zurückgehalten hatte, gerissen, ging sie dann auf Josh zu. Sie umarmten sich kurz und unbeholfen. Vivian schien regelrecht erleichtert, als sie es hinter sich gebracht hatte.
    »Und wie geht’s?« fragte sie.
    »Echt gut. Haben Sie gesehen?« Er zeigte auf den Fernseher.
    »Mein Dad hat mir die Baseball-Bänder gebracht. Aber wir kriegen den Videorecorder nicht angeschlossen. Wissen Sie, wie so was geht?«
    »Ich würde wahrscheinlich den Fernseher in die Luft jagen.«
    »Und Sie wollen Ärztin sein?«
    »Na, wenn du das nächste Mal eine Operation brauchst, dann ruf einfach einen Fernsehmonteur an.« Vivian wies mit dem Kopf auf Abby. »Du erinnerst dich noch an Dr. DiMatteo, oder?«
    Josh sah Abby unsicher an. »Ich glaube schon. Ich meine …«
    Er zuckte die Schultern. »Manche Sachen habe ich vergessen, wissen Sie? Sachen, die in der letzten Woche passiert sind. Es ist, als wäre ich blöd geworden oder so.«
    »Deswegen mußt du dir keine Sorgen machen«, sagte Vivian.
    »Wenn das Herz stehenbleibt, wird das Gehirn nicht ausreichend durchblutet. Dann kann man schon mal ein paar Sachen vergessen.« Sie berührte seine Schulter, eine für Vivian Chao zutiefst ungewohnte Geste. Sie stellte tatsächlich von sich aus Kontakt her. »Wenigstens hast du mich nicht vergessen«, meinte sie und fügte lachend hinzu: »Obwohl du es vielleicht versucht hast.«
    Josh blickte auf seine Bettdecke. »Dr. Chao«, sagte er leise.
    »Ich möchte Sie nie vergessen.«
    Einen Moment lang sagten beide nichts, sondern standen sich vor Verlegenheit erstarrt in jener merkwürdigen Pose gegenüber. Vivians Hand lag auf der Schulter des Jungen, der den Blick weiter niedergeschlagen hielt, das Gesicht vom Schirm seiner Kappe verdeckt.
    Abby mußte sich abwenden und auf etwas anderes konzentrieren. Ihr Blick fiel auf die Trophäen, die Bänder und Plaketten, die auf dem Nachttisch arrangiert waren. Jetzt war es allerdings nicht mehr der Altar eines sterbenden Jungen, sondern eine Feier des Lebens und der Wiedergeburt.
    Es klopfte, und eine Frau rief: »Joshie?«
    Die Tür ging auf, und Eltern, Geschwister, Tanten und Onkel stürmten das Zimmer, mit ihnen schwebte ein Wald aus Luftballons und der Geruch von McDonald’s-Pommes frites herein. Sie schwärmten um das Bett und überfielen Josh mit Umarmungen, Küssen und Ausrufen wie »Schau ihn dir an! So gut sieht er aus. Sieht er nicht gut aus?« Josh ertrug all das mit einem Ausdruck verlegener Freude. Er schien gar nicht bemerkt zu haben, daß Vivian den Platz an seinem Bett für die lautstarke Armee der O’Days geräumt hatte.
    »Josh, mein Süßer, wir haben Onkel Harry aus Newbury mitgebracht. Der kennt sich mit Videorecordern aus. Er kann ihn dir anschließen, nicht wahr, Harry?«
    »Na klar. Ich habe die Videorecorder von allen Nachbarn angeschlossen.«
    »Hast du auch die richtigen Kabel mitgebracht, Harry? Bist du sicher, daß du alle Kabel hast, die du brauchst?«
    »Meinst du, ich würde die Kabel vergessen?«
    »Guck mal, Josh: drei extra große Portionen Pommes. Das ist doch okay, oder? Dr. Tarasoff hat doch nicht

Weitere Kostenlose Bücher