Kalte Herzen
zu Archers Boot
Red Eye
hinüber, das aufholte. Und hin und wieder brüllten sie auch zu Abby herüber. Denn die hatte in dieser Regatta tatsächlich eine Funktion, die euphemistisch mit »Ballast« umschrieben wurde. Totes Gewicht. Eine Aufgabe, die auch Sandsäcke übernehmen konnten. Abby war ein Sandsack mit Beinen.
Die Männer brüllten, und sie rannte an die gegenüberliegende Reling, wo sie sich mit einiger Regelmäßigkeit übergab. Den Männern wurde nicht schlecht. Sie waren zu beschäftigt damit, in ihren teuren Segelschuhen herumzuturnen und zu brüllen.
»Achtung, Wendemarke! Noch einen Schlag. Alle Mann bereit!«
Mohandas und Jaegly nahmen ihren hektischen Tanz über das Deck wieder auf.
»Hart abfallen!«
Die
Gimmie Shelter
fiel ab und neigte sich Richtung Hafen.
Abby stolperte auf die andere Seite. Segel knatterten, Seile peitschten. Mohandas riß an der Winde, mit jeder Drehung zeichneten sich die Muskeln auf seinem gebräunten Arm ab.
»Sie holen uns ein!« rief Hank.
Die
Red Eye
hatte hinter ihnen eine weitere halbe Bootslänge gutgemacht. Sie konnten hören, wie Archer seine Mannschaft mit »Weiter! Weiter!«-Rufen anfeuerte.
Die
Gimmie Shelter
umrundete die Boje und segelte jetzt mit dem Wind. Jaegly kämpfte mit dem Spinnaker-Baum. Hank holte die Fock ein.
Abby erbrach sich über die Reling.
»Mist, er ist direkt hinter uns!« brüllte Mark. »Hoch mit dem Spinnaker! Los, los, los!«
Jaegly und Hank hißten den Spinnaker. Sofort blähte der Wind das Segel mit einem donnernden Knall, und die
Gimmie Shelter
schoß plötzlich nach vorn.
»Jawohl!« johlte Mark. »Ab geht’s, Baby!«
»Seht mal«, rief Jaegly und wies nach achtern. »Was zum Teufel ist los?«
Abby schaffte es den Kopf zu heben und sich nach Archers Boot umzusehen.
Die
Red Eye
hatte die Verfolgungsjagd aufgegeben, unweit der Boje gewendet und steuerte jetzt den Hafen an.
»Sie haben den Motor angelassen«, bemerkte Mark.
»Meinst du, sie gestehen ihre Niederlage ein?«
»Archer? Nie im Leben.«
»Warum fahren sie dann zurück?«
»Das sollten wir schleunigst herausfinden. Holt den Spinnaker ein.« Mark ließ den Motor an. »Wir kehren auch um.«
Gott sei Dank, dachte Abby.
Ihre Übelkeit klang bereits ab, als sie in den Jachthafen tuckerten. Die
Red Eye
hatte am Dock festgemacht, und ihre Mannschaft war damit beschäftigt, die Segel zu falten und die Taue aufzurollen.
»Ahoi,
Red Eye!
« rief Mark, als sie vorbeiglitten. »Was ist los?«
Archer schwenkte sein Handy. »Marilee hat angerufen und gesagt, wir sollen sofort reinkommen. Es ist irgendwas Ernstes.
Sie erwartet uns im Jachtclub.«
»In Ordnung. Wir treffen uns an der Bar«, erklärte Mark und blickte zu seiner Mannschaft. »Macht sie nur fest. Wir nehmen einen Drink und fahren dann noch mal raus.«
»Dabei müßt ihr aber ohne euren Ballast auskommen«, sagte Abby. »Ich gehe von Bord.«
Mark sah sie überrascht an. »Schon?«
»Hast du mich nicht über die Reling hängen sehen? Ich habe bestimmt nicht die Aussicht bewundert.«
»Arme Abby! Ich mache es wieder gut, ja? Versprochen!
Champagner, Blumen, ein Restaurant deiner Wahl.«
»Laß mich einfach bloß von diesem verdammten Boot runter.«
Lachend steuerte er das Dock an. »Aye-aye, Erster Maat.«
Als die
Gimmie Shelter
am Besuchersteg entlangglitt, sprangen Mohandas und Hank auf die Pier und vertäuten das Boot rasch an Bug und Heck. Auch Abby war im Handumdrehen von Bord. Selbst der Steg schien noch unter ihr zu schwanken.
»Bindet sie nur an«, sagte Mark, »bis wir herausgefunden haben, was mit Archer los ist.«
»Er hat wahrscheinlich schon mit der Party angefangen«, meinte Mohandas.
Als sie mit Mark über den Steg lief, dachte Abby: Bloß nicht noch mehr Gerede über Boote. Mark hatte seinen Arm besitzergreifend um ihre Schulter gelegt. Überall waren gebräunte Männer, die in Polohemden mit Gin Tonics in der Hand herumstanden und dröhnend lachten.
Sie traten aus der hellen Sonne in den Schatten des Clubs. Als erstes fiel ihr die Stille auf. Sie sah Marilee mit einem Drink an der Bar stehen. Archer saß allein an einem Tisch, vor sich einen leeren Bierdeckel. Die Mannschaft der
Red Eye
stand um die Bar, keiner rührte sich, keiner sagte ein Wort. Das einzige Geräusch im ganzen Raum war das Klirren der Eiswürfel in Marilees Drink, als sie das Glas an die Lippen führte, einen Schluck trank und es wieder auf den Tresen stellte.
»Irgendwas nicht in Ordnung?« fragte Mark.
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