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Kalte Herzen

Kalte Herzen

Titel: Kalte Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Marilee blickte auf und blinzelte, als hätte sie Mark jetzt erst wahrgenommen.
    Dann starrte sie wieder auf den Tresen.
    »Sie haben Aaron gefunden«, sagte sie.
    Es war das Knirschen der Knochensäge, das es normalerweise schaffte. Das oder der Geruch. Und dieser war besonders übel.
    Detective Bernard Katzka vom Morddezernat blickte über den Obduktionstisch und sah, daß der Gestank Lundquist zu schaffen machte. Er hatte sich halb vom Tisch abgewendet, die behandschuhte Hand über Mund und Nase gelegt und sein Filmstar-Gesicht zu einer angewiderten Grimasse verzogen.
    Lundquist hatte noch nicht gelernt, Autopsien wegzustecken.
    Die meisten Polizisten schafften es nie. Auch wenn das Zusehen beim Aufschneiden toter Körper nicht Katzkas Lieblingsbeschäftigung war, hatte er sich im Laufe der Jahre doch antrainiert, die Prozedur als eine Art intellektuelle Übung zu betrachten, bei der man sich nicht auf die Menschlichkeit des Opfers, sondern auf die rein organische Natur des Todes konzentrieren mußte. Er hatte Leichen gesehen, die in Feuern gebraten oder nach einem Sturz aus dem zwanzigsten Stock vom Bürgersteig gekratzt, die erschossen oder erstochen worden waren oder beides. Auch Leichen, die von Aasfressern angefressen worden waren. Mit Ausnahme der Kinder, die ihn jedesmal aus der Fassung brachten, war auf diesem Tisch eine Leiche wie die andere, ein entkleidetes Exemplar, examiniert und katalogisiert. Wenn man sie als irgend etwas anderes betrachtete, öffnete man nur Alpträumen Tür und Tor.
    Bernard Katzka war zweiundvierzig Jahre alt und Witwer. Vor drei Jahren hatte er zugesehen, wie seine Frau an Krebs gestorben war. Katzka hatte seinen schlimmsten Alptraum schon durchlebt.
    Teilnahmslos konzentrierte er sich auf die zu obduzierende Leiche. Es war ein vierundfünzigjähriger Weißer, verheiratet mit zwei Kindern im College-Alter, von Beruf Kardiologe. Seine Identität war sowohl durch Fingerabdrücke als auch durch seine Frau bestätigt worden. Für sie mußte es eine zutiefst verstörende Bestätigung gewesen sein. Die Leiche eines geliebten Menschen zu sehen ist schon schwierig genug. Wenn dieser geliebte Mensch zwei Tage in einem warmen und unbelüfteten Raum gehangen hatte, mußte der Anblick grauenhaft sein.
    Die Witwe war in der Leichenhalle in Ohnmacht gefallen, hatte man ihm berichtet.
    Kein Wunder, dachte Katzka, als er die Leiche von Aaron Levi betrachtete. Das Gesicht war weiß und blutleer. Der arterielle Druck war durch den Druck eines Ledergürtels abgeschnitten worden, der in einer Schlinge um seinen Hals lag. Die heraushängende Zunge war schwarz und schuppig, die feuchte Oberfläche durch zwei Tage an der Luft ausgetrocknet. Die Augenlider waren nur halb geschlossen, durch die Schlitze sah man geplatzte Adern, die das Weiß der Augen in ein furchteinflößendes Blutrot verwandelt hatten. Unterhalb des Halses hatte der Gürtel seine Strangmarke eingeprägt. Die Haut wies die typischen Zeichen auf: blutergußähnliche Verfärbungen der unteren Abschnitte von Armen und Beinen und, wo die Gefäße gerissen waren, kleinere Blutungen, genannt Tardieusche Flecken. All das stand im Einklang mit der Diagnose »Tod durch Erhängen«. Die einzige sichtbare Verletzung, abgesehen von der Strangmarke am Hals, war ein geldstückgroßer Bluterguß auf der linken Schulter.
    Dr. Rowbotham und sein Assistent, beide mit Kittel, Handschuhen und Mundschutz, machten einen Schnitt über Brustkorb und Unterleib hinweg. Er hatte die Form eines Y, zwei diagonale Schnitte von den Schultern zum unteren Ende des Brustbeins, dann ein vertikaler Schnitt über den gesamten Unterleib bis zum Schambein. Rowbotham hatte zweiunddreißig Jahre als Gerichtsmediziner auf dem Buckel, und kaum etwas schien ihn noch zu überraschen oder zu erregen. Er wirkte beim Aufschneiden der Leiche höchstens ein wenig gelangweilt. Er diktierte in seinem gewohnt monotonen Tonfall, während er mit dem Fußpedal das Diktiergerät ein- und ausschaltete. Jetzt hob er das dreieckige Schild aus Rippen und Brustbein ab und legte die Brusthöhle frei.
    »Gucken Sie sich das an, Slug«, sagte er zu Katzka. Daß man Katzka »Slug«, »Schnecke«, nannte, hatte nichts mit seinem in jeder Beziehung durchschnittlichen Aussehen zu tun. Es war vielmehr eine Anspielung auf sein absolut unerschütterliches Wesen. Unter Kollegen erzählte man sich immer wieder gerne den Witz, daß Bernard Katzka, wenn man am Montag auf ihn schoß, vielleicht am Freitag

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