Kalte Herzen
reagieren würde. Aber nur, wenn er wirklich sauer war.
Katzka beugte sich vor und blickte in die Brusthöhle. Seine Miene war genauso ausdruckslos wie die Rowbothams. »Ich kann nichts Außergewöhnliches entdecken.«
»Genau. Vielleicht eine dezente pleurale Stauung, wahrscheinlich aufgrund von Kapillarundichtigkeiten, ausgelöst durch Sauerstoffmangel. Aber das ist alles mit Ersticken vereinbar.«
»Das heißt, wir sind hier fertig?« fragte Lundquist. Er rückte schon von dem Tisch und dem Gestank ab, ungeduldig, sich wieder anderen Dingen zuwenden zu können. Lundquist war wie all die jungen Kerle, die die nächste Verfolgungsjagd gar nicht abwarten konnten. Egal auf wen. Selbstmord durch Erhängen war etwas, womit sie ihre Zeit nicht vergeuden wollten.
Katzka rührte sich nicht von der Stelle.
»Müssen wir uns wirklich den ganzen Rest angucken, Slug?«
fragte Lundquist.
»Sie fangen doch gerade erst an.«
»Es ist ein Selbstmord.«
»Ich habe ein komisches Gefühl bei dem hier.«
»Der Befund ist klassisch. Du hast es doch gerade gehört.«
»Er ist mitten in der Nacht aufgestanden, hat sich angezogen und ins Auto gesetzt. Denk doch mal nach. Er steigt aus seinem gemütlichen warmen Bett, um sich im obersten Stockwerk eines Krankenhauses aufzuhängen!«
Lundquist blickte kurz zu der Leiche und wandte sich gleich wieder ab.
Inzwischen hatten Rowbotham und sein Assistent die Luftröhre und die großen Gefäße herausgelöst und entnahmen gerade Herz und Lungen als ein schlaffes Bündel. Rowbotham ließ es in die Hängewaage fallen. Die stählerne Waagschale wippte unter dem Gewicht der Organe ein paarmal quietschend auf und ab.
»Es ist unsere einzige Chance, einen Blick darauf zu werfen«, sagte Rowbotham, während er sein Skalpell jetzt an der Milz ansetzte. »Sobald wir hier fertig sind, wird er sofort beerdigt.
Auf Wunsch der Familie.«
»Aus irgendeinem besonderen Grund?« fragte Lundquist.
»Sie sind Juden. Rasche Bestattung, verstehen Sie. Alle Organe müssen zurück in den Körper.« Rowbotham ließ die Milz auf die Waage fallen und wartete, bis die zitternde Anzeigenadel sich beruhigt hatte.
Lundquist riß sich seinen Autopsie-Kittel vom Körper und entblößte seine muskulösen Schultern, für die er all die Stunden im Fitness-Studio geschwitzt und gekeucht hatte. Er besaß eine rastlose Energie, die sich jetzt wieder zeigte. Immer auf dem Sprung zu wichtigeren und besseren Dingen, so war Lundquist.
Katzka hatte noch viel Arbeit mit ihm vor sich, und die heutige Lektion sollte von der Fehlbarkeit erster Eindrücke handeln – etwas, was man einem jungen Polizisten mit dem nötigen Selbstvertrauen und dem dazugehörigen Aussehen nur schwer vermitteln konnte. Volles Haar hatte er auch noch.
Rowbotham fuhr mit der Sektion fort. Er löste die Eingeweide und zog etwas heraus, das wie endlose Schlingen von Gedärm aussah. Leber, Bauchspeicheldrüse und Magen entfernte er als eine Masse. Zuletzt wurden Nieren und Blase herausgelöst und auf die quietschende Waage gelegt. Ein weiteres Gewicht wurde genannt und aufgezeichnet, weitere Worte in das Diktiergerät gemurmelt. Zurück blieb ein klaffender Hohlraum.
Jetzt ging Rowbotham um den Tisch zum Kopf der Leiche. Er machte einen Schnitt hinter einem Ohr und führte einen weiteren geraden Schnitt über den gesamten Hinterkopf. Dann zog er die Kopfhaut mit einem Ruck nach vorne und schlug sie über das Gesicht, bevor er den anderen Hautlappen nach hinten über den Nacken zog, so daß die Basis des Schädels offengelegt wurde.
Nun nahm er die Knochensäge. Als der Knochenstaub zu fliegen begann, verzog er das Gesicht zu einer Grimasse.
Inzwischen redete niemand mehr. Die Säge war zu laut, und die Prozedur war zu eklig geworden. Eine Brust oder einen Bauch aufzuschneiden war zwar grotesk, aber irgendwie unpersönlich. Als würde man eine Kuh schlachten. Doch den Skalp eines Mannes über sein Gesicht zu ziehen, war, als würde man das verstümmeln, was an einer Leiche am menschlichsten und persönlichsten war.
Lundquist sah leicht grünlich aus. Unvermittelt ließ er sich plötzlich auf einen Stuhl neben dem Waschbecken fallen und bedeckte sein Gesicht mit den Händen. Schon viele Polizisten hatten Gebrauch von diesem Stuhl gemacht.
Rowbotham legte die Säge aus der Hand und nahm die Schädeldecke ab, bevor er das Gehirn zur Entnahme vorbereitete. Er durchschnitt die Sehnerven und löste Blutgefäße und Rückenmark. Dann hob er behutsam
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