Kalte Herzen
Sprüngen zu erschrecken.
»Hör auf!« schrie Alexei. »Das wackelt ja!«
»Das ist der Abenteuerritt. Magst du das etwa nicht?«
»Ich will nicht reiten!«
»Du willst nie irgendwas.« Jakov wäre weiter auf und ab gesprungen, um den Steg schwanken zu lassen, aber Alexei war nahe daran, hysterisch zu werden. Mit einer Hand klammerte er sich ans Geländern, mit der anderen an Shu-Shu. »Ich will wieder runter«, wimmerte er.
»Na gut.«
Mit wunderbar lautem Geklapper stiegen sie die Treppe hinab und spielten schließlich eine Weile unter den Stufen. Alexei hatte ein altes Seil gefunden, das sie am Treppengeländer festbanden, um wie die Affen daran hin und her zu schwingen.
Es war nicht einmal einen halben Meter über dem Boden und nicht besonders aufregend.
Dann zeigte Jakov ihm die leere Kiste, die jemand in eine Nische unter der Treppe geschoben hatte. Sie krochen hinein, lagen zusammen in der Dunkelheit auf den Sägespänen und lauschten dem Rumpeln der Maschinen in der Hölle. Man spürte die See hier ganz nah, wie eine riesige dunkle Wiege, die den Rumpf des Schiffes schaukelte.
»Das ist mein Geheimversteck«, flüsterte Jakov. »Du darfst es keinem verraten. Schwör mir, daß du es niemandem erzählst.«
»Warum sollte sich? Es ist doch ätzend hier, kalt und naß. Ich wette, hier gibt’s auch Mäuse. Bestimmt liegen wir gerade mitten im Mäusedreck.«
»Hier drin ist kein Mäusedreck.«
»Woher willst du das wissen? Man kann doch gar nichts sehen.«
»Wenn es dir nicht passt, kannst du ja abhauen. Los doch!«
Jakov trat durch die Sägespäne nach ihm. Blödmann! Er hätte es sich ja denken können. Von einem, der ewig einen versifften, ausgestopften Hund mit sich herumschleppte, konnte man keine große Abenteuerlust erwarten. »Hau schon ab! Mit dir macht es sowieso keinen Spaß.«
»Ich weiß aber nicht mehr, wo es langgeht.«
»Glaubst du etwa, ich würde dir den Weg zeigen?«
»Du hast mich hierhergeschleppt, jetzt mußt du mich auch wieder rausbringen.«
»Mach ich aber nicht.«
»Du bringst mich hier raus, oder ich erzähle allen von deinem blöden Versteck voller Mäusedreck.« Alexei kletterte aus der Kiste, wobei er mit den Füßen Sägespäne in Jakovs Gesicht wirbelte. »Bring mich sofort hier raus, oder –«
»Halt das Maul«, zischte Jakov, griff nach Alexeis Hemd und riß ihn zurück. Die beiden landeten in den Spänen.
»Du gemeiner Kerl«, setzte Alexei an.
»Hör mal. Hör doch mal!«
»Was?«
Irgendwo über ihnen fiel eine Tür quietschend ins Schloß. Der Steg klapperte, jeder Schritt hallte mit tausendfachem Echo durch den Treppenschacht.
Jakov kroch zur Öffnung und spähte aus der Transportkiste.
Jemand klopfte an die blaue Tür. Einen Moment später wurde sie geöffnet. Jakov erkannte das blonde Haar, bevor die Frau hineinging und verschwand. Hinter ihr wurde die Tür sofort wieder geschlossen.
Jakov kroch wieder in die Kiste. »Das war bloß Nadja.«
»Ist sie noch da draußen?«
»Nein, sie ist durch die blaue Tür gegangen.«
»Was ist denn dahinter?«
»Weiß ich nicht.«
»Ich dachte, du wärst der große Entdecker.«
»Und du bist der große Blödmann.« Jakov trat erneut in Alexeis Richtung, aber er wirbelte nur ein paar Späne auf. »Die Tür ist immer abgeschlossen. Da wohnt irgend jemand.«
»Woher weißt du das?«
»Weil Nadja angeklopft hat und sie sie reingelassen haben.«
Alexei zog sich weiter in die Kiste zurück. Er hatte seine Meinung geändert und wollte sich doch noch nicht sofort hinauswagen. »Das sind die Leute mit den Wachteln«, flüsterte er.
Jakov dachte an das Tablett mit der Weinflasche und den beiden Gläsern, die in Butter gedünsteten Zwiebeln und die sechs kleinen, soßenbedeckten Vögel. Sein Magen knurrte.
»Hör mal«, sagte Jakov. »Ich kann ganz komische Geräusche mit meinem Magen machen.« Er holte Luft und streckte seinen Bauch vor. Jeder andere wäre von der Symphonie aus Gurgellauten beeindruckt gewesen.
Alexei fand sie nur ekelhaft.
»Du findest doch alles ekelhaft«, stellte Jakov fest. »Was ist eigentlich mit dir los?«
»Ich mag eben keine ekelhaften Sachen.«
»Früher hast du sie aber gemocht.«
»Aber jetzt nicht mehr.«
»Alles bloß wegen dieser Nadja. Die hat aus euch allen Schnulzbubis und Weicheier gemacht. Du bist doch auch in sie verknallt.«
»Bin ich nicht.«
»Bist du wohl.«
»Bin ich nicht!« Alexei warf eine Handvoll Sägespäne und traf Jakov mitten ins Gesicht. Plötzlich
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