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Kalte Macht: Thriller (German Edition)

Kalte Macht: Thriller (German Edition)

Titel: Kalte Macht: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Faber
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Zeiten. Und doch waren sie gefährlicher als alles, was er jemals in Händen gehalten hatte. Jetzt, da er dieses Kompendium vor sich sah, wurde ihm klar, dass in den zurückliegenden Wochen etwas Entscheidendes geschehen war: Natascha hatte eine Entdeckung gemacht, die sie nie hätte machen dürfen. Und er stand im Begriff, diese Entdeckung zu teilen. Mit angehaltenem Atem begann er zu lesen:
    Als die damalige Schatzmeisterin der Partei und Vizevorsitzende der Bundestagsfraktion ihren Artikel in der Welt veröffentlichte, galt das als eine der mutigsten publizistischen Äußerungen in der Politik der Nachwendezeit. Tatsächlich wirkte der Beitrag wie ein von kalter Hand geplanter Königsmord, der genauso gut den Tod des Attentäters zur Folge haben konnte. Denn Walther Brass, der sich in ein unüberschaubares Lügengebäude um Steuerhinterziehung, Waffenlieferungen und Verleumdung verstrickt hatte, war nach wie vor einer der stärksten Politiker des Landes. Fast alle, die in der Bundespartei bis dahin etwas geworden waren, waren das durch seine Unterstützung oder doch zumindest durch sein Wohlwollen geworden. Brass war das politische System seiner Ära.
    Auch die heutige Kanzlerin war ja seine »Erfindung«. Er hatte sie in sein Kabinett geholt, hatte ihr einflussreiche Posten verschafft, zweifellos, um seinen eigenen Einfluss ausüben zu können. Und lange Jahre wies nichts darauf hin, dass sie mehr war als eine Erfüllungsgehilfin Brass’scher Machtpolitik – und zwar in der zweiten Reihe. Zu den wirklich wichtigen Namen hat sie nicht gehört. Wirklich bedeutende Positionen hat sie nicht bekleidet.
    Nun also der Artikel in der Welt und ein Vorstoß, den viele in der Partei damals als Dolchstoß verstanden haben. Gegenüber dem Mann, der ein persönliches Versprechen über die Gesetze stellte, weil er die Aussage in Steuer- und Strafverfahren verweigerte, schien eine offene Rebellion umso mutiger und unwürdiger. Warum, so fragte man sich, konnte sie ihm das nicht unter vier Augen sagen? Warum musste sie ihn öffentlich demütigen und, ja, hinrichten?
    »Brass hat der Partei schwer geschadet«, schrieb sie. »Ein Versprechen zu geben und es höher anzusiedeln als die staatsbürgerliche Pflicht, Unrecht aufzuklären und in gerichtlichen Verfahren auszusagen, das wäre vielleicht noch angegangen, hätte es sich um rechtmäßige Vorgänge gehandelt. Doch angesichts der illegalen Machenschaften, die es aufzuklären galt, ist ein solches Verhalten nicht entschuldbar.« Und dann zählte sie die Erfolge von Walther Brass auf, stellte sein Lebenswerk dar, um es anschließend zu demontieren. Warum, fragt man sich. Warum so öffentlich? Warum auf diese Weise? Was war zwischen den beiden vorgefallen? Brauchte es den öffentlichen Druck, um Brass doch endlich zu einer Aussage zu zwingen? Oder ging es tatsächlich darum, ihn zum Rücktritt zu bewegen?
    Letzteres hätte auch eine noch so ambitionierte Parteifunktionärin nicht allein ins Werk setzen können, egal mit welchem Artikel, egal in welcher Zeitung. Dazu bedurfte es der Unterstützung anderer Parteigrößen. Vor allem des Einverständnisses des damaligen Parteivorsitzenden Alexander Rau. Er galt als Brass’ Mann fürs Grobe und als der Stein, auf dem das Brass’sche Gebäude errichtet war. Er war gleichermaßen das intellektuelle Kraftwerk von Brass’ Regierung wie auch die eiserne Hand, die seine Politik durchsetzte.
    Doch auch Rau kam ja wenig später zu Fall. Auch er stolperte über Machenschaften, in deren Mittelpunkt er nicht stand, für die er aber dennoch die Verantwortung zu übernehmen hatte. Zweifellos hatte auch in seinem Fall die damalige Schatzmeisterin und heutige Kanzlerin ihre Hände im Spiel – denn sie war die Nutznießerin der beiden Stürze. Sie wurde Parteivorsitzende und später Regierungschefin, während Rau sich mit der Rolle des pflichtschuldigen Funktionärs begnügen musste, obwohl alle ihn doch als Brass’ Kronprinzen gesehen hatten.
    Wie also konnte es sein, dass dieses Einverständnis Raus mit der Veröffentlichung offenbar vorlag, das ja beinahe zwingend auch das Einverständnis zum eigenen Sturz bedeutete? Wie konnte es sein, dass der Mann, der als die größte Kämpfernatur galt, die die Partei je gesehen hatte, Walther Brass, sich kampflos in sein Schicksal fügte und nach der offen in dem Artikel geäußerten Aufforderung, seine Ämter niederzulegen – »alle Ämter«! –, sich tatsächlich vollständig zurückzog?
    Die

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