Kalte Macht: Thriller (German Edition)
Sie mich nicht meine Liebe , Jäger«, fauchte die Staatssekretärin und warf einen Blick zur Tür, die Traub halb offen gelassen hatte.
»Niemand da.« Jäger setzte sich betont langsam auf einen der freien Sessel. »Ihre Perle musste irgendwohin. Hat einen Anruf bekommen.«
Stephanie Wende schloss die Tür trotzdem und setzte sich, Selbstsicherheit vorgebend, halb auf die Kante ihres Schreibtisches.
» Haben Sie schon was unternommen?«
»Alles, was nötig ist.«
»Und weiß Lafrage Bescheid?«
»Er wollte es sogar selbst übernehmen.«
Stephanie Wende verdrehte die Augen. »Immer diese Amerikaner. Können den Cowboy nicht unterdrücken. Wenn er jetzt Mist baut, haben wir nicht nur ein Sicherheitsproblem, sondern auch noch ein diplomatisches.«
»Lafrage ist ein alter Hase. Der weiß, wie man so was erledigt.«
»Und der andere?«
» Der andere ? Meinen Sie Herrn Eusterbeck?« Jäger legte lässig ein Bein über das andere. »Sie werden doch nicht eifersüchtig sein, Frau Wende?«
»Hören Sie mit Ihren blöden Anspielungen auf, Jäger.« Stephanie Wende stand auf, ging um ihren Schreibtisch herum und ließ sich, Gelassenheit vorgebend, auf ihren Stuhl sinken. »Wenn ich Ihr heimliches Vorstrafenregister hätte, würde ich mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen.«
Jäger überhörte die Drohung. »Geben Sie’s zu, die Kleine gefällt Ihnen, Frau Doktor.« Stephanie Wende presste nur die Lippen aufeinander und schwieg. »Ihn behalten wir im Auge«, erklärte Jäger schließlich. »Unser kleiner Lockvogel ist zwar leider aufgeflogen, aber die wirklich wichtigen Informationen haben wir sowieso direkt von ihm bekommen.«
»Er hat nicht gemerkt, dass er belauscht wird?«
»Natürlich hat er das gemerkt. Dafür haben Sie mit Ihren kleinen Machtspielchen gesorgt.« Er griff an sein Handgelenk, hielt es sich vor den Mund und gab einen Befehl durch: »Dann nehmen Sie die nördliche Schleuse. Ich möchte nicht, dass ihn jemand sieht.« Jäger stand auf und sah die Staatssekretärin mit durchbohrendem Blick an. »Die Kleine haben Sie auf dem Gewissen, nur damit Ihnen das klar ist.«
»Wie kommen Sie denn darauf? Ich muss doch sehr bitten.«
Gerhard Jäger zog die Augenbrauen hoch. »Skrupel? Kenne ich so etwas von Ihnen, Frau Doktor?« Stephanie Wende schwieg und betrachtete das leere Glas, das vor ihr auf dem Schreibtisch stand. »Jedenfalls haben Sie sich mit den Mails keinen Gefallen getan.«
»Wen interessieren schon ein paar kleine Nettigkeiten von E-Mail-Account zu E-Mail-Account?«
»Was um alles in der Welt haben Sie bloß damit bezweckt?«
»Hören Sie, Jäger, das werden Sie nie verstehen.«
»Vermutlich«, erwiderte Jäger amüsiert. Und wie er es verstand. Keiner im Amt beherrschte diese Spielchen auch nur annähernd so virtuos wie er. Er dachte an all die schönen kleinen Gemeinheiten, die er sich für die Neue überlegt hatte, um – bei weitem nicht nur für Frey, sondern auch für sich selbst – die Macht über Natascha Eusterbeck zu haben. Die Beobachtungen. Die Verfolgungen. Die Bedrohungen. Das war nicht mehr Handwerk, das war längst hohe Kunst. Jäger stellte sich neben die Staatssekretärin und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Wirklich schade, dass Sie so verkorkst sind, meine Liebe. Und wie gut, dass Sie mich haben. Kleine intrigante Lesben leben gefährlich in diesem Business.« Langsam ließ er seine Hand auf ihre Brust sinken. »Ja, wirklich schade.«
Stephanie Wende schob seine Hand zur Seite und fuhr aus dem Stuhl hoch. »Werden Sie alt? Passen Sie bloß auf, dass Sie nicht noch zum Sicherheitsrisiko für unser kleines Biotop hier werden.«
»Keine Sorge. Das wird mir nicht passieren«, sagte Jäger und wandte sich zur Tür. »Anders als Ihnen.« Und mit dieser Gegendrohung verließ er das Büro.
*
Splitternde Eisschollen, die zur Seite weichen und sich neben einem durch sie hindurchgleitenden Körper auftürmen, wirken wie ein Mahlwerk, sie schieben sich übereinander und zerquetschen den Menschen, während sie ihn gleichzeitig in einer gegeneinander verlaufenden Bewegung unter die Oberfläche drücken. Binnen Sekundenbruchteilen pressen sie die Luft aus seiner Lunge und zwingen ihn in die Tiefe. Es entspricht dem natürlichen Reflex des Menschen, die Arme nach oben zu strecken, um sich irgendwo festzuklammern. Indem er sich auf diese Weise schmaler macht, beschleunigt er jedoch die Abwärtsbewegung und verringert seine Überlebenschancen deutlich.
Als Natascha
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