Kalte Macht: Thriller (German Edition)
Kopf zur Seite und betrachtete sie. » Du warst toll«, stellte er fest und bewunderte ihre Figur, während sie sich umdrehte und wieder zu ihm aufs Bett kam. Sie hatte sich die Brüste machen lassen. Nicht zu viel. Aber es war offensichtlich. Und es fühlte sich auch anders an. Ein Makel. Ein Makel, der ihm guttat. Denn für ihn war sie eigentlich viel zu jung, zu sportlich, zu gepflegt – zu schön. Das hatte er nicht verdient. Und, verdammt, Natascha hat es nicht verdient, dass du sie betrügst, fuhr es ihm durch den Kopf, egal, wie schön diese Frau hier ist. Michelle sah den Schatten, der in diesem Augenblick über seine Seele glitt. »Was ist los, Martin?«
»Ich … ich ärgere mich, weil ich heute nur so wenig Zeit habe, entschuldige. Ich habe es verdrängt. Aber jetzt ist es mir wieder eingefallen. Ich muss gehen.«
»Du musst schon gehen? Wie schade, ich dachte, wir hätten noch ein bisschen Zeit für uns«, sagte sie und spielte mit ihren Fingernägeln zärtlich an seinem Bauch, glitt ein wenig tiefer und prüfte, ob er nicht doch umzustimmen war. Doch Natascha ging ihm nun nicht mehr aus dem Kopf. Er musste an die seltsame Nachricht vor einigen Tagen denken, als sie ihn ins Krankenhaus gerufen hatte. »Entschuldige«, murmelte er, küsste Michelle flüchtig und schwang sich aus dem Bett. Er war völlig verschwitzt. »Ich muss noch schnell duschen – und dann muss ich weg. Tut mir wirklich leid. Es war wunderbar mit dir. Ach, ich könnte die ganze Nacht … und nicht nur die …« Er verschwand im Badezimmer, duschte eilig und trocknete sich ab. Im Spiegel sah er eine traurige Gestalt: einen Mann, der nun zwei Frauen hatte und mit keiner ehrlich war. Er wusste nichts über Michelle. Er wusste auch nicht, ob sie etwas von ihm erwartete – mehr als schön essen gehen und guten Sex. Er wusste nicht einmal, ob das, was er da bot, für sie überhaupt guter Sex war. Bei allem, was sie so draufhatte …
Er ging wieder hinüber. Sie hatte sich angezogen. Die Unterwäsche. Ein schwarzer Hauch von nichts. So wie sie aussah, hätte sie mindestens Topmodel sein müssen, und das nicht nur für Dessous. Er sah sie ernst an. »Ich heiße nicht Martin«, sagte er leise. »Ich …« Sie legte ihm einen Finger auf den Mund. »Und ich heiße nicht Michelle.« Sie zog ihn an sich und nahm ihn in den Arm. Und während sie mit den Fingern durch sein Haar fuhr und er den Duft einsog, der von ihrer Haut aufstieg, flüsterte sie: »Wir sollten unsere Geheimnisse bewahren. Es gibt Dinge, die gehen niemanden etwas an.«
*
»Was halten Sie von ihr?«
David Berg fuhr aus seinem ergonomischen Lesesessel hoch, den er sich für das Studium der endlosen Texte in sein kleines Büro im Kanzleramt hatte schaffen lassen. »Herr Steiner! Seit wann stehen Sie denn schon da?«
»Lange genug, um Ihre schmutzigen Gedanken gelesen zu haben«, erwiderte der Kanzleramtsminister und grinste über seinen eigenen Scherz, wie er es gerne tat.
»Wen meinen Sie?« Natürlich wusste David Berg genau, von wem Hans Steiner gesprochen hatte. Es ging um die neue Staatssekretärin. Steiner checkte sie ab, versuchte herauszufinden, wer auf ihrer Seite stand und wer zu ihren Gegnern gehörte. Vermutlich hat er schon ein paar Wanzen bei ihr installieren lassen, dachte Berg und legte seine Papiere beiseite. Er schwang sich aus dem Sessel, der denkbar ungeeignet für eine Unterhaltung mit jemandem war, der sich sowieso als über allen stehend betrachtete.
»Halten Sie sie für talentiert?«
»Sie ist jedenfalls nicht dumm«, sagte Berg und ging zu seinem Schreibtisch. »Ein Wasser?« Er schenkte sich ein und hielt die Flasche in der Schwebe. Steiner nahm es gar nicht zur Kenntnis. »Das muss sich zeigen. Der Job hat jedenfalls nicht ihre Kragenweite.«
Berg zuckte mit den Schultern. »Menschen wachsen mit ihren Aufgaben.« Er, der sich angewöhnt hatte, wirklich jedem gegenüber gelassen zu sein und sogar beim politischen Gegner einen Funken von lauteren Absichten zu unterstellen, ja selbst er konnte Steiner nicht ausstehen. Der Kanzleramtsminister war in seinem eigenen Ministerium die mit Abstand unbeliebteste Personalie, was nicht nur daran lag, dass er andere kategorisch wie den letzten Dreck behandelte. Er bestand im Wesentlichen aus der völligen Abwesenheit von Empathie und einer riesigen Portion Selbstüberschätzung. Die Pointe seines Daseins war, dass er zweifellos selbst glaubte, in sein Amt kraft Befähigung gekommen zu sein, während im
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