Kalte Macht: Thriller (German Edition)
zur gleichen Zeit in Hamburg studiert, vermutlich kannten sie sich seit damals) sowie einigen anderen einflussreichen Mitarbeitern des Kanzleramts.
Als sie das Organigramm, das sie neben dem Laptop auf dem Küchentisch ausgebreitet hatte, betrachtete, wurde ihr klar, dass es schwierig werden würde, ihr Farbsystem durchzuhalten: Erstens konnte sie Berg und Paulus schlecht mit ein und derselben Farbe kennzeichnen, schließlich waren die beiden offensichtlich nicht in einem Lager, sondern entschieden in gegensätzlichen (sie zeichnete Britta Paulus violett an). Zweitens war das Bundeskanzleramt keine Insel. Hans Steiner gehörte beispielsweise vor seiner Berufung zum Kanzleramtsminister zum Klüngel der niedersächsischen Landespartei, wo er sehr vom ehemaligen Vorsitzenden und Ministerpräsidenten Braun gefördert worden war. Braun aber war in der letzten Legislaturperiode selbst Minister im Kabinett der Kanzlerin gewesen. Fraglos hatte er Steiners Karriere entscheidend unterstützt. Und vermutlich hatte Steiner massiv daran mitgewirkt, ihn abzusägen. Dunkel erinnerte sich Natascha daran, dass es sogar einmal Ermittlungen wegen Amtsmissbrauchs gegen Steiner gegeben hatte, von deren Begründetheit alle überzeugt gewesen waren. Braun hatte dafür gesorgt, dass die Geschichte ohne Prozess aus der Welt kam. Mit roter Farbe, in der sie Steiner gekennzeichnet hatte, vermerkte sie am Rand der Seite: »Braun«, machte einen Strich zwischen ihm und dem Kanzleramtsminister und vermerkte daneben ein Minus und ein Plus.
Wenig später hatte sie noch einige rote Striche mehr auf ihr Organigramm gezeichnet und einige Namen mehr daraufgesetzt. Unter anderem war ihr aufgefallen, dass Dr. Frey eine undurchsichtige Rolle in der Braunschen Skandalära gespielt hatte, als es um illegale Parteispenden und um fragwürdige Wahlkampfunterstützungen ging. Braun war letztlich darüber gestolpert, denn nach seinem Abgang als Landesregierungschef hatte ihm die Kanzlerin – anders als anderen gefallenen Parteigranden – kein hübsches Pöstchen mehr für das Ego und die privaten Finanzen angeboten. Kein Verkehrsministerium, keine Nominierung zum Bundesrichter, kein Büro in Brüssel. Er war einfach weg vom Fenster. Und Frey war Staatsminister im Kanzleramt geworden.
Natascha spürte, wie eine bleierne Müdigkeit sie endlich doch niederzog. Sie fuhr den Computer runter und ließ sich ins Bett fallen. Auf Henrik brauchte sie keine Rücksicht zu nehmen, er würde es nicht einmal merken, wenn sie neben ihm erschossen wurde. Dass die Kamera des immer noch aufgeklappten Notebooks auch in dieser Sekunde wieder eine Aufnahme machte, bekam sie nicht mit.
*
»Wem kann ich vertrauen?« Die Frage war so allgemein, so umfassend, dass David Berg sie irritiert musterte. »Mir zum Beispiel?«, sagte er, und es klang nur halb im Scherz. »Was wollen Sie hören?«
Natascha schwieg kurz, musterte Berg unverhohlen. »Ich frage mich, wer hier Spielchen spielt und wer zu den Aufrichtigen gehört.«
»Das heißt, Sie fragen mich.«
»Ja.«
»Das würden Sie nicht, wenn Sie nicht den Verdacht hätten, dass ich zu den, wie sagten Sie das so schön: zu den Aufrichtigen gehöre.«
Sie nickte und ließ ihren Blick durch die spärlich besuchte Kantine schweifen. »Ja. Irgendwo muss man einen Anfang machen. Und ich habe mich entschlossen, Sie für aufrichtig zu halten. Schon deshalb, weil Ihnen das so wenige zutrauen.« Er hob die Augenbrauen. »Oh, das hat nichts mit Ihnen persönlich zu tun«, erklärte sie. »Es hängt mit dem Job zusammen.«
»Regierungssprecher?«
»Tja, so ist das nun mal. Es dürfte nicht viele Jobs auf diesem Planeten geben, die als weniger aufrichtig gelten.«
Berg lächelte müde. »Ich könnte Ihnen eine Million aufzählen, die es sind .«
»Darum geht es nicht, David. Das wissen Sie so gut wie ich. Man ist immer das, was man in den Augen der anderen zu sein scheint.«
»Und das schreckt Sie nicht ab?«
»Im Gegenteil. Nach meiner Erfahrung ist ein so schlechter Ruf die beste Gewähr dafür, dass Sie sich besonders anstrengen sauber zu bleiben.«
»Sauber zu bleiben«, wiederholte Berg halb verächtlich, halb genüsslich. »Und was ist mit: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert?«
»Das ist nur ein dummer Spruch. Ich kann nicht bestätigen, dass er gilt.«
»Verstehe.« Lange hatte der Regierungssprecher nur in seinem Espresso gerührt, jetzt stürzte er ihn in einem Schluck hinunter. »Und nun wollen Sie,
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