Kalte Macht: Thriller (German Edition)
politischen Berlin jeder wusste, dass das genaue Gegenteil der Fall war: Steiner war schlicht unfähig genug gewesen, diesen Posten zu bekommen. Durch die Zufälle der Zeitläufte und durch die Unachtsamkeit berufenerer Akteure war er im Laufe der Jahre – und sogar ziemlich schnell – in eine Riege emporgeschwommen, in der er zum Namen geworden war und die Aufmerksamkeit der Kanzlerin geweckt hatte. Und sie, die niemanden neben sich regieren ließ, hatte seinen unschätzbaren Wert erkannt: Er war ein Nichts, und niemand würde sich je für ihn verwenden oder sich zu seinen politischen Freunden zählen. Ein einsamer, unbegabter Wurm, dazu hündisch ergeben, frei von jedwedem weltanschaulichen Anspruch und unbeleckt von jeder persönlichen Meinung, war er genau das, was sie als Bettvorleger brauchte. Und so nannte man ihn denn auch schon bald: den Bettvorleger. Wenn man nicht als »die Visage« von ihm sprach, frei nach einem seiner eigenen Zitate.
»Sie sollten ihr eine Chance geben.«
»Aber natürlich«, entgegnete Steiner, und Berg konnte sogar auf mehrere Armeslängen Entfernung den Mundgeruch des Amtschefs ahnen. »Jeder hat eine Chance verdient.« Er sah sich im Zimmer um. »Kennen Sie sich schon länger?«
»Länger ja. Aber nicht gut. Ich habe sie mal an einem Wahlabend in Mecklenburg interviewt. Da galt sie als politische Hoffnung.« Berg biss sich auf die Lippen. Das Interview hätte er nicht erwähnen sollen. Um die Chemie zwischen ihm und Steiner stand es nicht gut, seit er ihn – damals noch für die Westdeutsche Allgemeine – ziemlich hart interviewt hatte. Alles völlig korrekt, aber eben nicht so, wie Steiner sich das vorgestellt hatte. Er hatte noch die Bemerkung von der »kleinen Ratte« im Ohr, die »nicht mehr lange in dem Laden arbeiten wird«. Steiner hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass er für Bergs Rauswurf sorgen würde. Dabei hatte Berg ihm lediglich die eigenen Zahlen um die Ohren geschlagen. Parteispenden. Schwarze Kassen. Sumpfiges Gelände. Und er, Steiner, als Schatzmeister der niedersächsischen Landespartei, mittendrin.
»Behalten Sie sie im Auge, Berg«, sagte der Kanzleramtsminister und wischte einen unsichtbaren Fussel von seiner Krawatte. »Das wird besser für Sie und für mich sein.«
»Gerne, Herr Steiner. Und, bitte, wenn Sie rausgehen, machen Sie die Tür zu. Sonst erschreckt mich noch mal einer zu Tode, weil er plötzlich im Zimmer steht. Und ich will meine sieben Leben nicht so schnell verbrauchen.«
Steiner sah ihn von oben herab an und verließ dann den Raum, nicht ohne die Tür offen zu lassen.
Königstein/Taunus, Limburger Straße, 31.10.1989, 8:38:59 Uhr.
Der Konvoi aus zwei Fahrzeugen fährt auf die Kreuzung Altkönigstraße/Limburger Straße/Le-Cannet-Rocheville-Straße, um in Letztere abzubiegen. Die Fahrzeuge sind damit auf der B 8 unterwegs. Der Fahrer Eck erhöht das Tempo von weniger als 50 km/h auf 60 km/h. Dr. Albert Ritter dreht sich um und blickt über die Schulter durch die Heckscheibe. »Die Nummer eins ist nicht zu uns gestoßen.«
»Vielleicht sind sie irgendwo hängen geblieben«, versucht Eck, die Kollegen zu verteidigen. Später wird er sich erinnern, dass er sich geärgert hat. Unprofessionalität ist ihm zuwider. Wenn sie in seinem persönlichen Umfeld vorkommt, empfindet er sie als Beleidigung. Eck ist ein Mann von altmodischen moralischen Standards. Dr. Albert Ritter weiß das zu schätzen. Er hat in seinem Leben hinreichend unmoralische Menschen kennengelernt.
»Ich hoffe, es ist kein Zwischenfall eingetreten«, sagt Ritter. »Können Sie mal über Funk anfragen?«
»Natürlich, Herr Dr. Ritter.« Ecks Hand schnellt vor zur Mittelkonsole, und er versucht, während er den Wagen lenkt, eine Verbindung zu Wagen eins aufzubauen. Als das misslingt, wählt er die Frequenz der Einsatzleitung. Die beiden Begleitfahrzeuge sind Personenschutz und werden von der Landespolizei gestellt. Nur er, Eck, ist ziviler Fahrer, und nur sein Fahrzeug ist ein Dienstwagen seines Chefs. Gepanzert sind sie alle drei. Höchste Sicherheitsstufe. Dr. Ritter fährt so sicher wie der Kanzler oder dessen Minister. »Sicherer«, wie er immer zu sagen pflegt. »Denn ich habe ja Eck.«
Auch die Verbindung zur Einsatzzentrale kommt nicht zustande.
8:39:34 Uhr. In Höhe Kurbad Königstein kommt eine Baustelle in Sicht. Eck kennt sie und geht etwas vom Gas, weil eine Fahrbahnverengung folgt.
FÜNF
M a jestätis ch stand die Konrad Adenauer auf dem Rollfeld.
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