Kalte Macht: Thriller (German Edition)
dass ich Ihr Vorurteil, dass das kein Vorurteil ist, bestätige und Ihnen Indiskretionen über Mitarbeiter des Hauses erzähle. Ist das nicht ein Widerspruch in sich?«
»Überhaupt nicht. Ich will ja nichts über ihr Liebesleben erfahren oder über ihre Steuererklärungen …«
»… worüber ich im Zweifel auch gar nichts wüsste.«
»… sondern nur, dass Sie mir die Wahrheit sagen.«
»Oder das, was ich für die Wahrheit halte. Denn es ist alles ja immer nur so, wie es zu sein scheint, nicht wahr?«
Natascha schenkte ihm ihr warmherzigstes Lächeln. »Oder das, was Sie für die Wahrheit halten. Einverstanden.«
David Berg lehnte sich zurück und ließ lässig einen Arm über der Stuhllehne baumeln. Wenn es versteckte Botschaften der Körpersprache gab, dann musste dies bedeuten, dass er sich im Kanzleramt so sicher fühlte wie in seinem eigenen Wohnzimmer. Er war mit der Macht per Du. »Wissen Sie, Natascha, es ist schwer, Worte wie ›aufrichtig‹ zu benutzen, wenn es um Menschen geht, die in der Politik arbeiten. Ist derjenige aufrichtig, der tut, was er sagt, ist der es, der sagt, was er tut? Ist es derjenige, der das Richtige versucht? Oder der, der das Falsche eingesteht? Bedeutet zum Scheitern stehen Aufrichtigkeit? Oder ist es nur Dummheit? Ist politischer Instinkt unaufrichtig, sind taktische Lügen erlaubt? Strategische verboten?« Er schüttelte den Kopf. »Seit ich diesen Job mache, denke ich über diese Fragen nach. Im Ernst, ich bin ja hier angetreten mit einer gehörigen Portion Idealismus, nennen Sie es Naivität. Oder Aufrichtigkeit. Als Journalist war es für mich immer einigermaßen einfach, das Richtige vom Falschen zu unterscheiden. Wenn Sie im operativen Geschäft sind, wird das oft verdammt schwer. Ich bewundere da einen Mann wie Rau. Er hat den härtesten Job dieser Legislaturperiode. Finanzminister ist ungefähr so schön wie Gastroenterologe. Rau redet nicht viel. Er sagt zehn Sätze und verschweigt tausend. Vielleicht die tausend Sätze, auf die es wirklich ankommt. Aber bevor er jemandem eine Lüge auftischt, hält er lieber die Klappe. Und wenn er etwas sagt, dann glaubt er daran. Das kann er, weil er hochintelligent ist. Er ist in der Lage, die Dinge so zu formulieren, dass er sich nicht verbiegen muss, um daran zu glauben. Also muss man ihm genau zuhören. Das können viele nicht. Sie hören nur mit halbem Ohr hin und halten ihn deshalb für eine Schlange. Wenn Sie mich fragen: Das ist er nicht. Er sagt, was er denkt, und denkt, was er sagt. Für mich gehört er zu den Aufrichtigen, wenn Sie so wollen.«
Natascha nickte. »Klingt in der Tat so, als hätten Sie sich viele Gedanken darüber gemacht.«
»Das bleibt nicht aus. Wird Ihnen ja nicht anders gehen: Sie kommen an und stellen fest, dass das alles nicht sehr romantisch ist. Sie müssen Ihre Ideale über Bord werfen und sich deshalb ersatzweise eine Philosophie zurechtlegen.«
Natascha lachte leise. »Sie vergessen, dass ich keine Quereinsteigerin bin.«
Berg nickte. »Stimmt. Sie kennen das alles natürlich aus Ihrer Parteikarriere und aus der Landespolitik. Da wird es nicht anders sein.«
»Ist es auch nicht.« Natascha nippte an ihrem Tee. »Rau. Erzählen Sie mir was über seine Truppen.«
»Da gibt es nicht sehr viel zu erzählen.« Berg hob die Hand und grüßte von der Ferne einen ziemlich jungen Mann, den Natascha nicht kannte, blond mit Nerdbrille, vermutlich einer von Bergs Mitarbeitern. »Eigentlich müssten Sie da in seinem Haus forschen. Aber wenn Sie mich fragen, ist Rau ein einsamer Mann. Er hatte wohl mal einen Stab von sehr loyalen und qualifizierten Mitarbeitern und wird im Finanzministerium hoch geschätzt. Ganz ähnliche Situation wie mit unserem neuen Verteidigungsminister. Das sind eben alte Kämpen, kompetent, fleißig und hart an der Sache orientiert. Aber aus irgendeinem Grunde ist da nichts nachgewachsen.«
»Wie: nachgewachsen?«
»Nun, es gehen ja immer wieder enge Vertraute ihren Weg. Sie steigen auf, sie wechseln in die Landespolitik, sie machen Parteikarrieren, sie werden weggebissen. Der alte Rau-Kreis, den es mal gegeben haben muss, ist offenbar in alle Winde zerstreut. Ich wüsste nicht, dass ein neuer entstanden wäre. Vor allem wüsste ich nicht, wer dazugehören sollte. Aber wir kommen ab vom Thema. Sie wollten ja wissen, wer zu den ›Aufrichtigen‹ gehört.« Er lächelte ihr schelmisch zu. »Und ich frage mich, ob Sie selbst dazugehören.«
Und Natascha fragte sich, ob der
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