Kalte Macht: Thriller (German Edition)
sie einen Journalisten vollkommen von der Bildfläche verschwinden lassen können, indem sie ihm kein Forum mehr bieten.«
»Richtig. Hagen war so ein Fall.«
Hagen, dachte Natascha. Der hatte sich offenbar auch zerreiben lassen zwischen Macht und Moral.
*
Natascha Eusterbeck brauchte einen Moment, um das Gesicht, das sie hinter Petras Rücken durch die Tür erblickte, einzuordnen. Eine etwas feiste Gestalt, nicht allzu groß, Walross-Schnauzer. Wilhelm. Frank Wilhelm, Chef vom Dienst drüben im Bundespresseamt. »Da würde dich gerne jemand sprechen«, sagte Petra Reber und holte Luft, doch Natascha winkte gleich ab. »Schon in Ordnung, danke. Herr Wilhelm!« Sie ging zur Tür und streckte ihm die Hand entgegen. »Was kann ich für Sie tun?«
Der untersetzte Mann sah ihr kaum in die Augen, sein Blick war unruhig, unter dem Arm trug er eine schwarze Mappe, wie sie für Clippings verwendet wurden. »Kann ich Sie vielleicht kurz unter vier Augen sprechen?«
»Aber natürlich, kommen Sie rein.« Sie schloss die Tür hinter ihm. »Was haben Sie auf dem Herzen?«
»Ich habe Ihnen etwas mitgebracht«, sagte er und sah sich um, als gelte es sicherzustellen, dass keine weiteren Zuhörer im Raum waren. »Sie hatten einen Artikel bei uns angefragt, Sie erinnern sich?«
»Aber ja. Den Beitrag, den die Kanzlerin seinerzeit in der Welt geschrieben hat.«
Er nickte. »Ich habe ihn hier.« Mit zitternden Fingern nahm er ihn aus der Mappe und reichte ihn ihr. Ein sauber kopiertes Blatt, nichts weiter.
»Danke schön«, sagte Natascha irritiert. »Sie hätten ihn mir wirklich nicht persönlich vorbeibringen müssen. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«
Frank Wilhelm sah sie betreten an. »Gut, dass Sie ihn telefonisch angefordert haben. Und dass wir nur eine Praktikantin am Telefon hatten.«
»Ach ja? Ich verstehe nicht …«
Wilhelm setzte sich unaufgefordert hin. Natascha zögerte einen Moment, dann setzte sie sich zu ihm. Er rang sichtlich um Worte. Schließlich seufzte er tief und erklärte: »Sie haben in letzter Zeit einiges angefordert. Archivmaterial. Man ist auf Sie aufmerksam geworden. Jeder kennt Ihre Aufgabe hier. Und jeder fragt sich, was Sie mit diesen Artikeln wollen.« Er holte Luft. »Worauf Sie hinauswollen !« Ein Hustenanfall schüttelte ihn, der Mann war offenbar angeschlagen. Zu viele Jahre in der Tretmühle, zu viele Zigaretten, zu viele durchwachte Nächte. »Und jetzt auch noch dieser Artikel.«
»Also, ich weiß wirklich nicht, worauf Sie hinauswollen, Herr Wilhelm. Es steht mir doch frei, den Pressedienst zu nutzen, oder habe ich das falsch verstanden?«
»Nein, nein, natürlich dürfen Sie ihn nutzen. Aber es muss Ihnen doch klar sein, dass man darauf schaut, wer sich was kommen lässt.«
»Ach ja? Und was hat es mit diesem Artikel auf sich?«
»Sie wissen, wie man ihn nennt?«
»Den Artikel? Ich nehme an, man nennt ihn so, wie die Überschrift lautet.«
»Nein. Man nennt ihn Die Bombe. In den letzten zwanzig Jahren war kein Artikel, der in einer deutschsprachigen Zeitung erschienen ist, brisanter. Sie haben ja in letzter Zeit einiges bestellt, was irgendwie wirkte, als betrieben Sie hier Ihren eigenen kleinen Geheimdienst. Informationen über Parteikollegen, Dossiers über politische Vereinigungen, Lobbylisten und weiß der Geier was noch alles. Die haben bei uns schon Wetten laufen, wen Sie als Nächsten unter die Lupe nehmen. Im Ernst: Man merkt, wenn jemand fachfremde Interessen entwickelt. Ich weiß nicht, was Sie da tun. Aber ich weiß, dass Sie mit diesem Artikel an den Giftschrank der Republik gehen. Glauben Sie mir, das ist hier kein Kinderspiel. Was immer Sie vorhaben, passen Sie auf. Das kann ungemütlich werden. Mit diesem Artikel …« Er tippte mit der Hand auf das Papier, das Natascha auf dem Schoß hielt. »Mit diesem Artikel sind so viele politische Morde verbunden, dass Sie auf ganz dünnes Eis geraten.«
»Sie meinen vermutlich den Königsmord an Walther Brass, ja?«, sagte Natascha so gelassen wie möglich. Ob es ihr gelang, ein Pokerface zur Schau zu stellen, wusste sie nicht. Der Ton, in dem Wilhelm sprach, seine Miene, überhaupt seine ganze leidende Erscheinung machten sie befangen. Es beschlich sie das ungute Gefühl, dass an der undurchsichtigen Warnung des Pressemannes etwas dran war. Das passte ja auch zu allem, was ihr in den zurückliegenden Monaten widerfahren war.
»Brass lebt immerhin noch«, sagte Wilhelm, und es war ihm anzusehen, dass er keinen
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