Kalte Macht: Thriller (German Edition)
großen Wert auf diese Tatsache legte.
»Wie meinen Sie es dann?«
»Ich meine es so, wie ich sage. Und jetzt muss ich gehen.« Er stand auf. »Wollte Ihnen das Teufelsding nur selbst geben. Zweifellos ihr bester Coup«, sagte er, und es war klar, dass er die Kanzlerin meinte. »Aber vielleicht sollten Sie Ihre speziellen Interessen in nächster Zeit anderswo befriedigen. Findet sich doch heute alles im Internet.« Er nickte ihr gutmütig zu.
»Danke«, sagte Natascha Eusterbeck. »Ich weiß es sehr zu schätzen, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, den Artikel selbst vorbeizubringen. Und danke für den Rat.«
»Ich würde mir Vorwürfe machen, wenn Ihnen etwas zustieße.«
Sie lächelte. »Klingt das nicht ein bisschen sehr nach Verschwörungstheorie?«
»Theorien interessieren mich nicht. Ich bin ein Mann der Praxis.«
Königstein/Taunus, Herrnwaldstraße, 31.10.1989, 8:40:09 Uhr.
Irmtraud Ritter leidet seit Tagen unter starker Migräne. Die Anspannung, unter der ihr Mann steht, überträgt sich körperlich auf sie. Sie weiß, dass das irrational ist, als Ärztin kennt sie die physiologischen Zusammenhänge. Doch es ist das Mysterium der Biologie, dass der Mensch wohl imstande ist, so viele Geheimnisse des Körpers zu ergründen, dass er aber dennoch keinen Einfluss darauf nehmen kann. Nicht auf natürlichem Weg. Irmtraud Ritter hat sich ein paar Wochen lang mit Schmerzmitteln beholfen. Doch der Kopfschmerz ist wieder da. Sie steht am Fenster und trinkt in kleinen Schlucken Heilwasser, das sie in einer Karaffe auf das kleine Mahagonitischchen gestellt hat, und betrachtet nachdenklich das Telefon, mit dem sie eben erfolglos versucht hat, ihren Mann unterwegs zu erreichen. Vermutlich telefoniert er schon, er vergeudet keine Minute, in der er arbeiten kann. Und wahrscheinlich hätte er ohnehin nur gesagt: »Du bist hysterisch, Irmi. Nun lass mal gut sein, Konflikte sind dazu da, ausgetragen zu werden.«
Sie spürt, wie ihr Tränen über die Wangen laufen. Stellt das Glas beiseite. Hebt den Kopf. Glaubt für einen Augenblick, seine Stimme zu hören. Legt die Hand auf die Fensterscheibe und spürt ein leichtes Zittern. Dann kommt der Knall.
8:40:15 Uhr. Anwohner der Herrnwaldstraße, Königstein, hören ein undefinierbares Kreischen. Es wird später als der Schrei von Dr. Irmtraud Ritter identifiziert werden.
NEUN
B a d S oden lag in dichtem Nebel. Zweimal war Natascha Eusterbeck an dem kleinen, etwas zurückgesetzten Haus vorbeigefahren, beim dritten Mal endlich entdeckte sie die Einfahrt. Dass die Sicht so schlecht war, ärgerte sie und wirkte doch zugleich beruhigend: Niemand konnte sehen, wohin sie fuhr, niemand konnte sich an ihre Fersen heften, niemand würde über den Zaun schauen können, mit wem sie sprach.
Als sie läutete, hörte sie einen Hund bellen. Sie zog den Mantel enger um ihre Schultern und wartete. Nach einer Weile drückte sie noch einmal auf die Klingel. Erneut bellte der Hund. Dann hörte sie ein Geräusch aus dem Nebel, das eine ins Schloss fallende Haustür sein mochte. Und Schritte, die zögernd näher kamen. Noch ehe sie jemanden sehen konnte, hörte sie die misstrauische Stimme eines alten Mannes. »Ja? Wer ist da?«
»Natascha Eusterbeck. Herr Hagen?«
»Was wollen Sie von mir?«
»Kann ich Sie unter vier Augen sprechen?«
»Eusterbeck? Sie sind aber nicht das neue Mädchen aus dem Kanzleramt?«
»Sie sind gut informiert, Herr Hagen«, erwiderte Natascha, die sich spontan entschlossen hatte, den chauvinistischen Grundton, der in dieser Beschreibung lag, nicht zur Kenntnis zu nehmen.
»Was wollen Sie von mir?«
»Ich …« Sie zögerte. Was, wenn es gar nicht Hagen war, der da im Nebel vor ihr stand, unsichtbar und vermutlich mit einem Hund bewaffnet? Dann schüttelte sie den Kopf. Das war doch paranoid. »Ich habe Ihr Buch gelesen.« Aber war es nicht allein schon paranoid, überhaupt hier zu sein? »Und ich habe mit David Berg über Sie gesprochen. Es geht um die Geschehnisse, derentwegen Sie … Oder vielmehr um die Behauptungen …« Sie hörte ein leises, zynisches Lachen. »Ja, die Behauptungen, nicht wahr?« Einen Augenblick schwieg er. Dann trat er plötzlich aus der dichten weißen Wand vor ihr. Klein. Schmal. Aber mit blitzenden, wachen Augen, mit denen er sie über den Rand seiner halbkreisförmigen Brille musterte. »Besser, wir besprechen das im Haus.« Er ließ den Hund von der Leine und gab ihm ein Zeichen, zum Haus zu laufen, was das Tier sogleich tat.
Weitere Kostenlose Bücher